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Petra Mehnert
Arne und Zippora - Allein gelassen


Taschenbuch August 2014
648 Seiten | ca. 12,5 x 18,5 cm
ISBN: 978-3-86468-763-1
ISBN (E-Book): 978-3-86468-782-2



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Ein spannendes Road-Movie quer durch Süddeutschland vor der Fußball-WM 2006

Die Zwillinge Arne und Zippora Cavatoni werden durch eine grausame Tat aus ihrem Leben gerissen und müssen aus ihrer Heimat am Lago Maggiore fliehen. Sie kommen nach Süddeutschland und versuchen, sich irgendwie durchzuschlagen - immer verfolgt von den Augen des Gesetzes und der Angst vor Entdeckung. In jeder Stadt erleben sie gefährliche Abenteuer und müssen sich mit bösen Menschen herumschlagen. Aber sie finden auch gute Freunde, denen sie sich anvertrauen können. Gemeinsam mit ihren neuen Freunden Tabea und Emanuele verlieren sie aber niemals ihr Ziel aus den Augen: Irgendwann nach Hause zurückzukehren und wieder ein „normales“ Leben zu führen. Wird ihnen das gelingen?

Krimi, Abenteuer- und Liebesgeschichte für Mädchen und Jungs ab 10 Jahren
Kapitel 11: Arne und die Liebe

Zippora wusste unterdessen mit sich alleine nichts anzufangen und so legte sie sich wieder auf ihre Matratze und ließ ihren Gedanken freien Lauf.
Was sie bisher schon alles erlebt hatten!
Plötzlich merkte sie, wie ihr eine einsame Träne über die Wange rollte und ohne es richtig zu wollen oder einen genauen Grund dafür zu kennen, fing sie herzzerreißend an zu schluchzen. Sie fühlte sich so furchtbar alleine und verlassen und bekam auf einmal eine Riesenangst, Arne könnte etwas zustoßen und er würde nie mehr zu ihr zurückkommen!
Sie schniefte so sehr, dass sie gar nicht hörte, wie ein Fahrrad angebraust kam, etwas vernehmlich schepperte und jemand auf die Türe zu gerannt kam! Diese wurde aufgerissen und ehe Zippy etwas unternehmen konnte, hörte sie ein laut schluchzendes Etwas hereinstürmen. Zippy, die verborgen hinter dem Tisch auf ihrer Matratze lag, machte sich noch kleiner und lauschte zu Tode erschrocken auf das Schluchzen, das aber urplötzlich aufhörte. Zippora hielt den Atem an.
Wer mochte das wohl sein?
Der Eindringling, ein dürres Mädchen etwa im Alter der Zwillinge, stand wie angewurzelt im Raum und sah sich angstvoll um.
Was war hier los?
Wer hatte sich da in „ihrer“ Hütte häuslich eingerichtet?
Ihre anfängliche Angst machte Platz für Wut und Zorn! Wer wagte es, in die Hütte von Opa Müller einzubrechen? Vorsichtig schaute sie sich um. Mit klopfendem Herzen und mit angehaltenem Atem wagte sie sich ein paar Schritte weiter in die Hütte hinein. Als sie nahe am Tisch war, sah sie ein Paar nackter Füße auf einer Matratze hervorschauen. Sie stieß einen entsetzten Schrei aus und Zippy zog im Reflex vor Schreck ihre Beine an und keuchte heftig.
Was sollte, beziehungsweise, konnte sie nur tun?
Gar nichts! Sie saß in der Falle. Das Mädchen lugte ganz vorsichtig hinter den Tisch und Zippora sah als Erstes nur eine Mähne roter langer Haare, die ihr fast ins Gesicht gefallen wären. Erschrocken zog sie sich noch weiter in die hinterste Ecke zurück, erst dann erkannte sie, dass der Eindringling ein junges Mädchen war. Hörbar stieß sie den Atem wieder aus. Das Mädchen starrte sie mit katzengleichen grünen Augen, die sie zu engen Schlitzen zusammengezogen hatte, misstrauisch an.
„Was …?“, fragten beide gleichzeitig, „ … tust du denn hier?“
Der Anflug eines Lächelns zeigte sich auf beiden Gesichtern, aber das fremde Mädchen fand als Erste die Sprache wieder.
„Also, raus mit der Sprache! Was zum Teufel treibst du hier? Und wie bist du überhaupt hier rein gekommen?“
Wütend schnaubte sie die immer noch zusammen-gekauerte Zippora an.
„Ich … äh … ich … “, stammelte der einsame Zwilling, denn sie hatte bisher noch keinen Gedanken an eine plausible Ausrede verschwendet. Drohend kam das Mädchen auf sie zu.
Etwa zur gleichen Zeit kehrte Arne zur Hütte zurück. Er fuhr in flottem Tempo um die letzte Kurve, sah das rothaarige Mädchen gerade ihr Fahrrad vor die Hütte schmeißen und schluchzend im Eingang verschwinden. Er zögerte nur einen kurzen Schreckensmoment, dann fuhr er so leise es ging zur Hütte, legte sein Rad neben ihres und schlich zum einzigen Fenster, das sich auf der linken Seite befand. Vorsichtig lugte er hinein und sah das Mädchen mit weit aufgerissenen Augen dastehen.
In diesem einen Moment schien es ihm, als hätte die Welt aufgehört sich zu drehen.
Alles um ihn herum fühlte sich plötzlich wie in Watte gepackt an. Er hörte keine Vögel mehr zwitschern, den Wind nicht mehr durch die Bäume streichen und der ganze Wald schien den Atem anzuhalten.
Arne konnte nur noch das Mädchen anstarren, aber nicht aus Angst um seine Schwester, dass sie entdeckt werden könnte … es war einzig und allein IHRE Erscheinung, die ihn derart faszinierte, dass er sich ihr nicht entziehen konnte. Er hatte das Gefühl, als würde er in ihren Augen versinken. Sie hatten ein so ungewöhnliches Grün, wie frisches junges Moos und ihre Haare leuchteten im Sonnenlicht, das durchs Fenster fiel, wie poliertes, glänzendes Kupfer. Irgendwie sah sie in diesem Moment aus wie nicht von dieser Welt.
Endlich bewegte sie sich und ging zögernd weiter in die Hütte hinein, sie hatte den Jungen am Fenster noch nicht gesehen.
So plötzlich, wie er gekommen war, war der magische Moment vorüber und schlagartig kam die Sorge um seine Schwester wieder in Arnes Bewusstsein. War sie überhaupt noch in der Hütte? Ein zweistimmiger Aufschrei beantwortete seine Frage und er lief hastig ums Haus und huschte unbemerkt zur offenen Türe. Er konnte gerade noch des Mädchens letzte Frage und Zippys Gestammel hören und so kam er seiner Schwester mit einer Gegenfrage zu Hilfe:
„Und was suchst du hier?“
Es war doch immerhin möglich, dass dieses Mädchen auch nicht offiziell hierher gehörte.
Zutiefst erschrocken drehte sich das Mädchen um und erstarrte. Mit offenem Mund und großen fragenden Augen musterte sie den hübschen Jungen, der so plötzlich wie aus dem Nichts vor ihr stand. Ein eigenartiges Kribbeln machte sich in ihrem Bauch breit und sie bekam eine Gänsehaut. War das nur der Schock, oder steckte mehr dahinter, fragte sie sich, denn sie konnte sich dieses äußerst seltsame und noch nie gespürte Gefühl nicht erklären.
Da das Mädchen ihn nur anstarrte und offenbar nicht gewillt war zu antworten, versuchte Arne es mit einem zaghaften Lächeln. Er hoffte wirklich, dass er nicht so rot im Gesicht war, wie sich seine Wangen anfühlten! Was war nur los mit ihm? Zu seiner grenzenlosen Erleichterung (und ein bisschen Schadenfreude) sah er auch auf den Wangen seines hübschen Gegenübers eine leichte Röte aufsteigen. Ihr Haar fiel ihr fast über die Hälfte ihres Gesichts und er fand es schade, dass er nicht beide Augen sehen konnte. Durch die schmutzige Scheibe waren diese wundervollen Augen ja schon begeisternd gewesen, aber jetzt in nur ein paar Metern Entfernung … Wahnsinn!
Diesmal war es Zippora, die ihrem Bruder zu Hilfe kam.
„Wollen wir uns nicht setzen und du erzählst uns, was passiert ist?“
Zippora wählte mit Absicht genau diese Worte, da sie, als das Mädchen bei Arnes Erscheinen herumgewirbelt war, gesehen hatte, warum die Kleine so aufgelöst war.
„Wer hat dir das angetan?“, fragte sie behutsam und zeigte auf das verdeckte rechte Auge des Mädchens. Ertappt schaute diese beschämt zu Boden. Arne seinerseits schaute zuerst fragend in Zippys Richtung, als diese aber nur mit den Schultern zuckte, gab er sich einen Ruck und ging zögernd auf das Mädchen zu. Äußerst vorsichtig, als würde er sich einem verängstigten Tier nähern oder als hätte er Angst, etwas kaputt zu machen, strich er seinem verstörten Gegenüber die weichen Haare aus dem Gesicht und erstarrte! Sie hatte eine üble Platzwunde über dem rechten Auge, das zudem auch noch ganz blau unterlaufen war. Geronnenes Blut verklebte ihre dichten Augenbrauen. Trotzig strich sie sich die Haare wieder über ihr entstelltes Auge, aber ihre Augen straften ihre Geste Lügen. Sie blickte wie ein eingeschüchtertes verletztes Tier in Arnes ebenfalls grün schimmernde Augen.
Unwillkürlich musste sie an reife Oliven denken und sie schluckte trocken. Arne deutete das als Zeichen, dass sie gleich wieder losheulen würde und sagte leise:
„Marie hat Recht! Setzen wir uns doch. Dann erzählst du uns alles, aber ich schau mir vorher deine Wunde an.“
Doch das Mädchen schüttelte nur unmerklich den Kopf. Arne schien es, als stünde sie immer noch unter Schock. Langsam ging er auf sie zu, schaute ihr tief in die Augen und sagte mit seiner sanftesten Stimme:
„Bitte!“
Als sie sich immer noch nicht rührte, legte er ihr einfach behutsam einen Arm um die Schulter, wobei er erstaunt feststellen musste, wie perfekt sie in seine Armbeuge passte. Sie war ungefähr einen halben Kopf kleiner und sehr zierlich. Wider Erwarten hatte sie sich auch nicht gewehrt. Arne kam es eher so vor, als wäre sie durch seine Berührung aus ihrer Starre erwacht. Die wundervollen Haare kitzelten ihn an der Wange. Ihre Wärme fühlte sich seltsam vertraut an und er fand es fast schade, dass der Weg zum Stuhl nur so kurz war.
Vorsichtig setzte er sie auf einen Stuhl, während er zu seinem Rucksack ging, um Verbandszeug zu holen. Kaum vernehmbar flüsterte das Mädchen:
„Kannst meins nehmen, ich hab immer Klammerpflaster da.“
Damit zeigte sie auf die Sitzbank, auf der sich Zippy gerade niedergelassen hatte. Diese sprang sofort wieder hoch, klappte den Deckel auf und sah einen riesigen Verbandskasten!
Kein gutes Zeichen!
Arne war wieder zurückgekommen und nahm den Kasten von Zippy entgegen. Schweigend kramte er darin herum, bis das Mädchen ihm das Verbandszeug wortlos wegnahm und selbst das Benötigte routiniert herausnahm. Kein gutes Zeichen! dachte Arne und schaute seine Schwester viel sagend an. Diese nickte nur wissend und wandte sich an das arme Mädchen:
„Wie heißt du eigentlich?“ Dabei vergegenwärtigte sie sich, dass Arne sie vorsichtshalber als Marie vorgestellt hatte.
„Tabea“, murmelte die Angesprochene nur und sah Arne dabei fragend an. Dieser schluckte schwer, denn es tat ihm komischerweise richtig weh, Tabea bereits bei ihrem ersten Gespräch anlügen zu müssen. Aber sie mussten auch jetzt noch vorsichtig sein.
„Martin“, brummte er. „Aber jetzt lass dir doch bitte helfen“, bat er sie leise, aber bestimmt und nahm ihr dabei vorsichtig das Desinfektionsspray aus der Hand.
„Sonst sprühst du dir noch in deine wunderschönen Augen“, setzte er hinzu und wurde sofort wieder rot. Mist, warum hatte er das nur gesagt? Was würde sie jetzt von ihm denken? Bestimmt so was wie: elender Schleimer oder wie würden die Deutschen das nennen? Tabea jedoch ließ nach einem kurzen Blick in seine freundlichen Augen die Spraydose sinken und Arne konnte sie an sich nehmen und mit seiner ärztlichen Versorgung beginnen. Er fühlte sich sehr wichtig dabei. Stumm und mit zusammengebissenen Zähnen ließ Tabea die erstaunlicherweise recht fachmännische Behandlung über sich ergehen. Zippy hielt ihr währenddessen die Hand. Dabei überlegte sie sich angestrengt eine Ausrede. Sie konnte nur hoffen, dass Arne nicht die Wahrheit sagen würde, denn ihr war selbstverständlich nicht entgangen, dass mit ihrem Bruder und diesem armen Mädchen irgendwas im Busch war. Diesen verklärten Blick kannte sie sonst nur von sich selbst, wenn sie mal wieder verliebt war. Tabea schien es auch erwischt zu haben, denn sie ließ ihren Retter nicht aus den Augen.
Nachdem die Wunde gereinigt war, schaute Arne überrascht und zugleich entrüstet drein.
„Sieht aus, als wäre da eine alte Wunde wieder aufgeplatzt“, sagte er mehr zu sich selbst. Tabea schaute ihn mit einem süßen Lächeln an:
„Du solltest Arzt werden.“
„Es stimmt also?“, murmelte er nur und wagte eine nächste Frage:
„Wie ist das passiert, Tabea?“
Es hörte und fühlte sich gut an, ihren Namen zu sagen.
„Das erste oder das letzte Mal?“, fragte Tabea und lächelte schon wieder. Humor hat sie, das musste man ihr lassen, dachte Zippy und Arne war ehrlich erstaunt, dass das Mädchen, nach allem was passiert sein musste, immer noch zum Scherzen aufgelegt war und so antwortete er: „Beide Male, wenn`s dir nichts ausmacht.“
„Okay, wenn ihr neugierigen Zwillinge es unbedingt wissen wollt ...“
Resigniert schauten die beiden sich an. Eigentlich hatten sie angenommen, dass es nach ihrer Frisuren-Änderung nicht mehr so offensichtlich war.
„Schaut nicht so … man sieht es halt, trotz der unterschiedlichen Haare. Ich dachte immer, Zwillinge finden es toll, wenn man sie nicht auseinander halten kann. Ihr wisst schon, wegen der netten kleinen Verwechslungsspielchen!“, zwinkerte sie den beiden zu.
„Ist normalerweise ja auch so, aber ...“, hob Arne an, wurde aber sofort von seiner Schwester unterbrochen, die Angst hatte, ihr Bruder würde ihre wahre Geschichte zum Besten geben. Arne hielt auch sofort inne, als ihm bewusst wurde, dass er gerade im Begriff gewesen war, ihr Geheimnis zu verraten. Dazu war es wirklich noch zu früh, musste er sich schuldbewusst eingestehen und so nickte er seiner besseren Hälfte nur dankbar zu.
„Wir sind jetzt einfach in einem Alter, wo wir uns mehr wie Frau und Mann fühlen wollen“, sprudelte Zippy hervor. Etwas Besseres war ihr gerade nicht eingefallen. Arne wurde sofort wieder rot, als ihm klar wurde, wie Recht sie damit hatte. Tabea war das nicht entgangen und sie lächelte wissend.
„Ist euch mit der Wahl der Frisuren auch gelungen, keine Sorge. Aber trotzdem sieht man`s“, meinte Tabea nur und ließ dabei den männlichen Teil des Zwillingspärchens keine Sekunde aus den Augen. Der schaffte es nicht, sich diesem intensiven Blick zu entziehen und fragte stattdessen zur Ablenkung:
„Was ist jetzt also passiert?“
„Bin wieder mal gegen eine Tür gelaufen“, antwortete Tabea beiläufig, doch die Zwillinge glaubten ihr kein Wort! Sie hatten beide die Blutergüsse und blauen Flecken an Armen und Beinen, sowie am Hals gesehen! Die Zwillinge schüttelten nur stumm die Köpfe, zum Zeichen dafür, dass sie sich schon eine bessere Geschichte würde ausdenken müssen, um sie zu überzeugen. Resigniert murmelte Tabea schließlich:
„Okay, okay ... ich sag`s euch ja. Aber nur, wenn ihr mir auch verratet, was ihr in der Hütte von Opa Müller zu suchen habt.“
„Opa Müller?“, fragten die beiden wie aus einem Munde.
„Nun ja – Opa Müller ist eigentlich nicht mein richtiger Opa, nur ein lieber Nachbar, der mir erlaubt hat, seine Hütte zu benutzen. Außerdem sollte ich nach dem Rechten gucken, wenn er in Reha ist und nun seid ihr da! Hat Opa Müller euch auch einen Schlüssel gegeben?“
„Nein“, sagte Arne, „Ja“, sagte Zippy.
„Was denn nun?“, fragte Tabea von einem zum anderen schauend. Arne ließ seiner Schwester den Vortritt und hoffte, dass sie sich in der Zwischenzeit bereits eine plausible Erklärung zusammengebastelt hatte.
„Also …“ fing Zippy langsam an und Arne befürchtete schon, dass die Ausrede noch nicht hieb- und stichfest durchdacht war. Aber Zippy legte bereits los:
“ ... wir sind zu Besuch bei den anderen Nachbarn von Herrn Müller und als er mitbekommen hat, dass uns dort total langweilig war, hat er uns angeboten, hier in seiner Hütte zu übernachten.“ Zippy stieß hörbar die Luft aus, so erleichtert war sie, auf die Schnelle eine Ausrede gefunden zu haben. Arne dachte nur: Wenn das mal gut geht!
Ging es nicht, denn Tabea sagte eisig:
„Opa Müller hat aber keine weiteren Nachbarn.“
„Nein?“, fragte Zippy nur verzagt, denn damit hatte sie nicht gerechnet.
„Nein, denn Opa Müller wohnt auf einem Einsiedlerhof am Stadtrand nahe an diesem Wald und wir wohnen bei ihm zur Untermiete in der Einlieger-Wohnung“, klärte Tabea die beiden auf, während ihr Gesichtsausdruck dabei immer finsterer wurde. Von plötzlicher Panik ergriffen rief Arne:
„Also gut, Marie hat nicht ganz die Wahrheit gesagt! Wir sind wirklich gerade zu Besuch bei Bekannten. Bei Frau Bader, um genau zu sein. Dort haben wir uns aber gelangweilt und so machte Frau Bader, der das Schullandheim dort drüben gehört, den Vorschlag, wir könnten dort alleine übernachten.“
Er machte eine kleine Kunstpause um zu verschnaufen und schaute seine Schwester dabei herausfordernd an. Diese nickte kaum sichtbar und ermunterte ihn, genau so weiter zu machen. Diese Geschichte klang logisch. Sie nahm sich vor, ihren Bruder später auch gebührend zu loben.
„Also“, fuhr Arne begeistert über seinen eigenen Einfallsreichtum fort, „haben wir auch wirklich dort übernachtet, sind aber einer Einbrecherbande auf die Spur gekommen und dann ...“, plötzlich wusste Arne nicht mehr weiter. Schnell sprang Zippy ein und erzählte weiter:
„Wir mussten also weg von dort, damit die Polizei Gelegenheit hatte, die Diebe auf frischer Tat zu ertappen. Zu Frau Bader nach Hause wollten wir auch nicht mehr und so kam sie auf die Idee mit der Hütte ihres Bekannten“, schloss sie triumphierend ihre Geschichte, die ja immerhin fast der Wahrheit entsprach und Arne fügte noch hinzu:
„Das Schloss repariert Frau Bader selbstverständlich wieder, wenn wir gehen.“
„Ich hab noch gar nicht gemerkt, dass es kaputt ist!“, staunte Tabea, aber Zippy meinte voller Mitleid:
„Ist ja auch kein Wunder! Du bist doch völlig aufgelöst zur Tür herein gestürmt!“
„Was uns wieder zu unserer ersten Frage zurückbringt: Was ist passiert, Tabea?“, forderte Arne das inzwischen recht blass wirkende Mädchen auf. Leise antwortete sie:
„ Er hat mich mal wieder verprügelt.“
„Wer er? Dein Vater?“, fragte Arne mitfühlend und legte seine warme braune auf ihre kalte weiße Hand. Sie zog sie nicht weg und das erfüllte Arnes Herz mit einer wohligen Wärme. Auch Tabea fühlte sich getröstet und fuhr fort:
„Er ist Alkoholiker, sehr starker Alki sogar. Sieht so aus, als würde er`s nicht mehr lange machen.“
Die Zwillinge sogen scharf die Luft ein bezüglich dieser rüden Ausdrucksweise, aber andererseits konnten sie es sogar verstehen.
„Was wirst du jetzt machen?“, fragte Zippy leise.
„Weiß nicht … aber nach Hause gehe ich nicht mehr. Diesmal nicht mehr, das steht fest!“
In ihren Augen stand eine Entschlossenheit, der nichts entgegenzusetzen war.
„Hast du denn niemanden, zu dem zu gehen könntest?“, wollte Arne voller Mitgefühl wissen. Tabea schüttelte nur den Kopf, so dass ihre Locken lustig um ihren Kopf hüpften, als wollten sie damit den Ernst der Situation entschärfen. Wie schön sie trotz der Wunde und den blauen Flecken doch ist, wunderte sich Arne und sah sie verliebt an. Er musste ihr irgendwie helfen und er wollte, dass sie hier bei ihm bleiben würde! Er schaute seine Schwester flehend an, während er fragte:
„Tabea, würde es dir was ausmachen, wenn ich kurz mit Z … äh, mit Marie unter vier Augen spreche?“
„Nur zu - ich weiß eh, dass eure Geschichte nicht ganz wasserdicht ist und irgendwie passt der Name Martin gar nicht zu dir und du siehst überhaupt nicht wie eine Marie aus! Viel zu gewöhnliche Namen für euch beide“, verkündete Tabea und fing an, ihren Verbandskasten wieder einzuräumen.
Mit einem „Hab-ichs-doch-gleich-gewusst-Blick“ packte Arne seine verdutzte Schwester und zerrte sie nach draußen ein Stück weit weg von der Hütte. Zippy protestierte nicht, sie wusste sowieso, was Arne sagen würde: Sie sollten Tabea die Wahrheit sagen und sie auf ihrer weiteren Flucht mitnehmen! Und genau das schlug Arne auch total aufgeregt vor. Zippora konnte ihn sehr gut verstehen. Sie mochte Tabea auch und wollte dem armen Mädchen unbedingt helfen. Sie durfte auf gar keinen Fall zurück zu ihrem Vater, das war klar.
„Also, was machen wir?“, fragte Arne bangen Herzens.
„Wir erzählen ihr alles. Ich meine, wirklich die ganze Wahrheit und fragen sie dann, ob sie mit uns kommen will“, entschied Zippy und Arne ergänzte in Gedanken: Und hoffen, dass sie uns nicht verrät und wir uns in ihr nicht getäuscht haben!

So kam es, dass die Zwillinge in schönster Eintracht zurückkehrten und eine leise schluchzende Tabea auf Arnes Matratze vorfanden. Obwohl Arne geglaubt hatte, dass er bei seiner ersten Liebe vor lauter Befangenheit nichts Vernünftiges zustande bringen würde, war es bei Tabea eher so, als würde er sie schon ewig kennen und er hatte so gut wie keine Berührungsängste. So fiel es ihm auch nicht schwer, sich neben sie zu legen. Sie lag auf dem Bauch und heulte in sein Kopfkissen. Er stützte sich auf seinen Ellenbogen und fing an, zärtlich über ihren Rücken zu streichen. Dabei berührte er immer wieder ihre wunderbaren Haare, die sich in seinen Händen wie Seide anfühlten.
Zippy hatte sich diskret auf ihre Matratze zurückgezogen und lauschte nun ihrerseits auf die vertraute und angenehm einfühlsame Stimme ihres geliebten Bruders. Er erzählte die ganze Geschichte beginnend mit dem Attentat: Wahrheitsgemäß, schonungslos und in aller Kürze. Tabea hatte sich inzwischen zu Arne hin gedreht und lauschte bangen Herzens dieser unglaublichen Geschichte. Bei der Erwähnung ihrer richtigen Namen hörte Tabea endlich gänzlich auf zu schluchzen und blinzelte ihren neuen Freund triumphierend an. Hatte sie es doch gewusst! Sie unterbrach seine Beichte aber kein einziges Mal. Als Arne endlich erschöpft neben sie sank, das Streicheln hatte ihn zudem noch angestrengt, fragte das inzwischen wieder gefasste Mädchen:
„Was glaubt ihr, was wohl schlimmer ist. Keinen Vater oder so einen wie meinen zu haben?“
„Keine Ahnung! Diese Frage wird man wohl schlecht beantworten können, wenn man nicht beides erlebt hat. Man hat ja keinen Vergleich“, meinte Zippy und Arne sagte beinahe flüsternd:
„Bald wirst du einen Vergleich haben, wenn du mit uns kommst.“
Als er die großen fragenden Augen sah, fügte er entsetzt hinzu:
„Du willst doch nicht wieder nach Hause zurück, oder?“
Er wusste in diesem Moment nicht, welche Vorstellung schlimmer für ihn war. Die, ohne Tabea weiter von Ort zu Ort flüchten zu müssen oder die Gewissheit, dass ihr zu Hause wieder schreckliche Dinge widerfahren würden!
„Nein, nein!“, beeilte sich Tabea zu versichern. „Aber ganz von hier fortgehen? Ich muss doch zur Schule!“, rief sie und stand auf. Wie ein Tiger im Käfig lief sie umher. Auch Arne war aufgestanden und hielt sie in ihrer Wanderung auf, indem er sie einfach an sich zog und ganz fest an sich drückte. Zuerst ließ sie es geschehen, doch dann drückte sie ihn sanft etwas von sich und sah ihm tief in die Augen.
„Und wo wollt ihr als nächstes hin?“
„Eigentlich wieder zurück ins Schullandheim, aber das geht nur, wenn die Polizei erfolgreich war und die Luft wieder rein ist“, antwortete Arne und Zippy meinte, Tabea könne sie doch dorthin begleiten, natürlich ohne dass Frau Bader etwas mitbekam. Die würde bestimmt sofort das Jugendamt einschalten und von einem Heim oder einer Pflegefamilie wollte Tabea nichts wissen. Bisher hatte sie alles, was ihr Vater ihr angetan hatte nur deshalb ertragen, weil die Alternativen in ihren Augen noch schlimmer waren. Doch jetzt bot sich ihr ein Ausweg und noch dazu in so unwiderstehlicher Gesellschaft, dass sie eigentlich nicht mehr lange überlegen musste, oder? Nur, was war mit der Schule? Sie war bisher immer sehr gut gewesen. Ohne viel zu lernen war sie in der Realschule meist Klassenbeste und jetzt sollte sie einfach alles hinschmeißen und abhauen? Sie sprach ihre Bedenken laut aus.
„Wir lernen doch trotzdem! Mit Büchern aus Bibliotheken und mit dem Internet“, beteuerte Arne schnell, denn er fühlte, dass es nicht mehr lange dauern würde, bis seine Tabea ihrem Vorschlag zustimmen und mit ihnen kommen würde.
„Okay“, sagte Tabea gedehnt, „das klingt alles nicht schlecht, aber wie lange können wir noch in dem Heim bleiben?“
Sie löste sich von Arne und setzte sich wieder an den kleinen Tisch. Die Zwillinge folgten ihrem Beispiel und nun erzählten sie Tabea von ihrer Aufgabe, die sie sich selbst auferlegt hatten. Ein kleines Lächeln stahl sich auf Tabeas Gesicht, was Arne dazu veranlasste, zu sagen:
„Wieder eine Aufgabe mit U gelöst! Eine Untermieterin aus Ulm hat gelächelt.“ Und wie süß! fügte er in Gedanken hinzu. „Noch mal zurück zum Zeitplan.“ Arne wurde wieder ganz geschäftsmäßig. „Wir können voraussichtlich nach Beendigung der Malerarbeiten noch drei Wochen bleiben, bis die ersten Schulklassen wieder kommen. So lange müssten wir dich nur vor Frau Bader verstecken.“
„Mir geht es zwar ordentlich gegen den Strich, dass wir Frau Bader nicht einweihen können, aber als Erwachsene würde sie es sicher nicht gutheißen, wenn du einfach abhaust“, sagte Zippy zu Tabea.
„Bei uns liegt der Fall insofern anders, weil wir ja auch von den Verbrechern gesucht werden und die könnten uns in einem Heim oder bei Pflegeeltern sicher irgendwann aufstöbern.“
„Aber … es gibt da doch so ein Zeugensch …, wie heißt das doch gleich?“, wandte Tabea ein.
„Zeugenschutzprogramm“, antwortete Arne ganz weltmännisch, was ihm einen bewundernden Blick seiner Liebsten einbrachte. Zippora schnaubte nur.
„Davon halten wir nichts. Die Mafia kriegt doch alles raus, was in Behörden gespielt wird. Die haben doch überall ihre Spitzel. Aber zwei untergetauchte Kids in ganz Europa zu suchen ist da schon bedeutend schwieriger“, brachte Zippy überzeugt vor und wollte unbedingt selbst daran glauben.
„Wenn ihr meint - aber was ist mit mir? Die werden mich doch sicher mit ner Großfahndung mit Bildern von mir suchen lassen!“, wandte Tabea ein.
„Du müsstest ebenfalls eine Typ-Veränderung machen, genau wie wir!“, rief Zippy und erläuterte der skeptisch dreinschauenden Tabea, wie sie vorher ausgesehen hatten. Arne hingegen bekam einen Riesenschreck! Er wollte nicht, dass sich irgendetwas an seinem Mädchen veränderte! Tabea spürte seinen entgeisterten Blick und musste lächeln:
„Du möchtest anscheinend nicht, dass ich mich verändere?“, fragte sie kokett. Arne konnte nur hilflos mit dem Kopf schütteln.
„Vielleicht finden wir noch eine andere Lösung“, lenkte Zippora ein. Auch sie konnte sich Tabea ohne ihre tollen Haare nicht recht vorstellen. Sie hatte eine Idee.
„Du könntest ein Kopftuch und Sonnenbrille tragen.“
„Und einen langen Rock mit hohen Schuhen darunter, dann würdest du auf jeden Fall älter geschätzt werden“, ergänzte Arne begeistert.
„Sehr praktisch beim Rumtoben“, stellte Tabea lapidar fest.
„Na ja, die Verkleidung brauchst du doch nur in der Öffentlichkeit“, versuchte Arne ihr klar zu machen und Tabea lächelte auch schon wieder. Dann wurde sie aber wieder ernst.
„Wie sieht es mit Moneten aus? Ich hab nicht viel auf dem Konto.“
„Wir haben noch einiges übrig und versuchen uns mit Singen und Nachhilfe in Italienisch was zu verdienen“, beeilte sich Arne zu versichern.
„Ich kann gut Saxophon spielen und könnte Nachhilfe in Mathe geben“, murmelte Tabea mehr zu sich selbst.
„Ehrlich? Dann könnten wir deine Nachhilfe in Mathe als Erste gut gebrauchen“, verkündete Zippy und fragte auch gleich, wie alt Tabea eigentlich sei.
„Ich werde bald vierzehn und bin in der achten Klasse der Real.“
„Dann bist du ja ein Jahr älter als wir, aber so viel kleiner“, neckte Arne sie und handelte sich dafür einen Tritt gegens Schienbein ein.
„Aua - du Wildpferd!“ beschwerte sich Arne grinsend. „Ich bin`s halt gewohnt, dass sogar gleichaltrige Mädels meist größer sind als ich.“
„Meine Eltern sind auch eher klein“, meinte Tabea zur Erklärung ihrer Körpergröße, was Zippy dazu veranlasste, nach ihrer Mutter zu fragen.
„Ich kenne sie nicht. Sie ist kurz nach meiner Geburt abgehauen und hat meinen damals schon alkoholkranken Vater und mich sitzen lassen. Irgendwie kann ich sie sogar verstehen. Ich bin bei meinen Großeltern mütterlicherseits, Freunden von Opa Müller, aufgewachsen. Nach deren Tod vor drei Jahren sind Papa und ich dann zu Opa Müller gezogen“, erzählte Tabea emotionslos, fast so, als spreche sie über`s Wetter. Arme Tabea! Von beiden Seiten kamen plötzlich zwei Hände, die sich behutsam auf ihre legten. Die Zwillinge hatten bei dieser Erklärung gleichzeitig das starke Gefühl gehabt, Tabea trösten zu müssen. Alle drei mussten grinsen und Zippy ließ ihrem Bruder beim Trösten natürlich den Vortritt.
„Kommt diese Frau Bader auch hierher, um nach euch zu sehen?“, wollte Tabea schließlich wissen.
„Oh, Schitt!“, rief Zippy, „Daran haben wir gar nicht mehr gedacht! Sie wollte jeden Tag um circa siebzehn Uhr vorbeischauen. Wie spät ist es jetzt?“
„Gleich zwölf Uhr - also keine Panik, wir haben noch jede Menge Zeit“, beruhigte Arne sie und Tabea fragte:
„Und was machen wir mit dieser Zeit?“
Sie schaute Arne dabei tief in die Augen, was diesen sichtlich verlegen machte. Bevor er irgendwas zusammen stottern konnte, half seine Schwester ihm auf die Sprünge:
„Ihr zwei geht ein bisschen spazieren und ich besorge die Verkleidung für Tabea“, bestimmte sie und erntete verhaltene Zustimmung, denn vor dem Alleinsein mit dem anderen Geschlecht hatten die beiden nun doch ein bisschen Bammel.
Als Zippora weg war, saßen die beiden nur da und schauten sich sehr intensiv an. Das schien ihnen für alle Ewigkeiten auszureichen. Erst als sie meinten, jeden Zoll im Gesicht des anderen ausgiebig studiert zu haben, fand Tabea ihre Stimme als Erste wieder.
„Du hast mich gerettet, weißt du das?“
„Hmh … .“
„Wirklich! Ich weiß nicht, was ich sonst getan hätte. Diesmal wäre ich nicht wieder nach Hause gegangen – ganz bestimmt nicht mehr! Diesmal ist er wirklich zu weit gegangen.“ Sie war ganz leise und blass geworden und Arnes Gesichtsfarbe wurde ebenso um einige Töne heller.
„Er hat dich doch nicht …?“
Er wollte es gar nicht zu Ende denken! Aber Tabea winkte ab.
„Nein, dazu ist er nicht mehr gekommen! Er hat sich beim Verprügeln zu sehr verausgabt, sodass er danach keine Kraft mehr zum Festhalten hatte“, sagte Tabea verbittert und fing wieder zu zittern an. Sofort sprang Arne zu ihr und riss sie förmlich vom Stuhl in seine Arme. Minutenlang hielt er sie einfach nur fest, bis das Zittern endlich aufhörte.
„Ab heute werde ich dich beschützen, Tabea“ flüsterte Arne ihr ganz sachte ins Ohr und küsste sie vorsichtig auf die Wange.
„Danke“, flüsterte sie zurück und gab ihm einen ganz zarten Kuss auf den Mund. Verlegen lösten sie sich wieder voneinander und Tabea schlug hastig vor:
„Wollten wir nicht spazieren gehen?“
„Können wir machen, nur sollten wir aufpassen, dass uns niemand sieht. Sicher ist sicher.“
Mit diesen Worten schnappte er sich seine Kappe samt Sonnenbrille und Tabea schlang sich, nachdem Arne ihr einen Zopf geflochten hatte, ein Halstuch von Zippora um den Kopf. Eine Sonnenbrille hatte sie dabei und mit dieser Verkleidung huschten sie unbemerkt aus der Hütte. Über zwei Stunden streiften sie glücklich und ausgelassen auf kleinen abgelegenen Trampelpfaden durch den Wald. Auf einer kleinen Lichtung warfen sie sich ins weiche Moos, hielten Händchen und starrten in den azurblauen Himmel.

Lange Zeit lagen sie nur stumm da und genossen die Nähe des anderen. Endlich brach Arne das zufriedene Schweigen.
„Glaubst du an Liebe auf den ersten Blick?“
„Seit heute schon“, meinte Tabea nur, drehte sich zu ihm hin und küsste ihn sanft zuerst auf die Stirn, dann auf die Nasenspitze und schließlich ganz vorsichtig auf den Mund. Es war Arnes erster richtiger Kuss von einem Mädchen und er fand es wider Erwarten ganz wunderbar. Bisher hatten sich er und seine Kumpels immer lustig übers Küssen gemacht und es als eklig abgestempelt. Wie dumm sie doch waren! Arne war so froh darüber, dass er sich von den größeren und älteren Jungen seiner Clique bisher nicht hatte überreden lassen, irgendein Mädchen aus der Schule zu küssen. Er wusste schon immer, dass er auf die Richtige warten wollte und genau diese hatte er gerade im Arm. Äußerst zärtlich und zurückhaltend erwiderte er Tabeas Küsse und ganz behutsam erforschten sie die Welt der Liebe. Nach unendlich langer Zeit, so schien es ihnen, richtete sich Tabea seufzend auf und fragte neugierig:
„Bin ich deine erste Freundin?“
Nachdem sie ein heftiges Nicken zur Antwort erhalten hatte, meinte sie:
„Du bist auch mein erster und ich finde das toll! So hat man keine Vergleichsmöglichkeiten.“
Damit stupste sie ihn neckisch in die Seite und fragte dann:
„Wie spät ist es eigentlich?“
„Gleich halb fünf!“, rief Arne erschrocken. „Wir müssen zurück!“
„Du meinst, DU musst zurück! Ich werde mich in der Nähe verstecken. Du müsstest bitte nur noch mein Fahrrad verschwinden lassen“, bat Tabea und rappelte sich auf.
„Klar – mach ich. Aber jetzt los!“, seufzte Arne beim Aufstehen. Er hätte noch ewig mit Tabea hier im Wald bleiben und schmusen können. „Sonst macht sich Zippy noch Sorgen.“
Hand in Hand schlenderten sie zurück zur Hütte. Kurz davor hielt Arne an und sagte zaghaft:
„Und noch was, Tabea. Wir sollten uns vor Zippora besser noch nicht küssen. Sie musste erst kürzlich in Augsburg ihren Freund zurücklassen und ich möchte nicht, dass sie eifersüchtig auf uns wird, okay?“
Doch Tabea war sehr verständnisvoll und willigte, wenn auch schweren Herzens, ein.
Als sie zur Hütte zurückkamen, stand Zippys Fahrrad bereits da und in der Ferne war ein Motorengeräusch zu hören. Arne küsste Tabea so stürmisch, als würden sie sich wochenlang nicht mehr sehen. Lächelnd schob sie ihn Richtung Hütte und versteckte sich mit den Worten:
„Nun geh schon – ich lauf dir bestimmt nicht weg!“ In Gedanken fügte sie hinzu: Niemals! Und Arne seufzte innerlich: Hoffentlich!
Arne versteckte gerade noch rechtzeitig Tabeas Fahrrad, bevor Frau Baders Mercedes auch schon um die Ecke geholpert kam. Fröhlich winkend kam sie auf Arne zu. Zippy in der Hütte hatte gerade noch Zeit, die Verkleidungsteile von Tabea und deren Rucksack zu verstecken. Mit einem: „Es gibt gute Neuigkeiten!“, stürmte die energische Dame auch schon in die Hütte. Anerkennend schaute sie sich um.
„Alle Achtung! Hier sieht`s ja richtig sauber aus.“
„Alles Zipporas Werk. Ich war nur einkaufen“, stellte Arne richtig und seine Schwester war sichtlich stolz auf ihre Arbeit. Er zwinkerte ihr zu und gab ihr zu verstehen, dass mit Tabea alles in Ordnung war. Zippy fragte Frau Bader auch sofort neugierig:
„War die Polizei schon da?“
„Ja, und stellt euch vor! Sie suchen die Uhrendiebe schon lange und wollen sich heute Nacht auf die Lauer legen. Wenn wir Glück haben, könnt ihr bald wieder zurück ins Heim ziehen.“
„Das wäre echt super – obwohl es hier auch sehr angenehm ist“, antwortete Zippy und Arne stelle sich bereits vor, wie er mit Tabea und seiner Schwester in der gemütlichen Bibliothek saß und lernte und wie Tabea auf seiner Matratze an ihn gekuschelt schlafen würde. Er spürte, wie er bei diesem Gedanken rot wurde und drehte sich sofort um. Er gab vor, etwas in seinem Rucksack zu suchen. Sie setzten sich an den Tisch und die Kinder sahen Frau Bader erwartungsvoll an. Arne hatte sich auch wieder im Griff und bevor irgendjemand etwas sagen konnte, knurrte Arnes Magen äußerst vernehmlich.
„Nicht schon wieder!“, rief Frau Bader, „Jetzt habe ich eure Pizza schon wieder im Auto vergessen. Diesmal habe ich gleich eine Familienpizza besorgt, da ich heute ausnahmsweise mitessen möchte.“
„Ich hol sie“ erbot sich Arne sofort, denn er erhoffte sich einen kurzen Blick auf Tabea. Er wusste, sie würde die Hütte von ihrem Versteck aus im Auge behalten. So stürmte er hinaus, bevor jemand widersprechen konnte. Er getraute sich, zu Tabea zu laufen, da in dieser Richtung kein Fenster war. Kurz vor Tabea ließ ihn ein lauter Ruf mitten im Spurt innehalten. Es war zum Glück nur Zippy, die ihm klar machen wollte, dass er den Autoschlüssel vergessen hatte. Schweren Herzens drehte er ab, allerdings nicht ohne seiner Freundin einen Handkuss aus der Ferne zuzuwerfen. Zippy schüttelte nur genervt den Kopf, warf ihrem liebestollen Bruder den Schlüssel zu und verschwand wortlos wieder in der Hütte.
„Mist!“, grummelte Arne aus drei Gründen: Erstens, weil er die Autoschlüssel vergessen hatte, zweitens, weil er es nicht geschafft hatte, sich einen Kuss abzuholen und drittens, weil er seine Schwester durch seine Aktion verärgert und sie alle in die Gefahr, entdeckt zu werden, gebracht hatte. Er musste in Zukunft echt vorsichtiger sein. Er war wieder ohne sich umzusehen einfach aus der Hütte gerannt. Es war also doch was dran, dass Liebe blind machen konnte.
Wieder zurück legte Arne mit einem entschuldigenden Lächeln in Zipporas Richtung die Pizzaschachtel auf den Tisch. Zippy hatte bereits den Tisch gedeckt. Bald darauf hörte man außer genüsslichem Schmatzen nicht mehr viel. Frau Bader langte heute leider richtig zu und obwohl die Zwillinge ebenfalls großen Hunger hatten, behaupteten sie, als noch gut ein Viertel der Pizza übrig war, sie würden gleich platzen. Sie würden sich den Rest gerne für später aufheben. Frau Bader hatte nichts dagegen und mit dem Versprechen, morgen um die gleiche Zeit wieder zu kommen, verabschiedete sie sich kurz vor achtzehn Uhr. Arne konnte es kaum erwarten, seine Tabea mit der Pizza zu füttern. Sie war doch viel zu dünn!
In der Tat – Tabea war völlig ausgehungert und machte sie gierig über den Rest der Pizza her. Die Zwillinge bekamen sofort ein schlechtes Gewissen, weil sie der armen Tabea nicht mehr übrig gelassen hatten. Während sie Tabea beim Verschlingen der Pizza zuschauten, erzählte Arne den Mädchen von seiner Begegnung mit der Studentin. Zippy war auch gleich begeistert, witterte sie doch eine gute Gelegenheit zum Geld verdienen. Dann sprachen sie noch über weitere Möglichkeiten und so kamen sie wieder auf die Musik zu sprechen.
„Ich brauche mein Saxophon! Es ist ein Geschenk meines Großvaters, ein glaube ich recht wertvolles Instrument“, klärte Tabea die Zwillinge auf. Bei Zippy klingelten dabei gleich ein paar Glocken.
„Wie wertvoll?“, fragte sie eindringlich.
„Keine Ahnung, aber ich habe die Adresse der Firma. Ich könnte es dort mal schätzen lassen. Obwohl … “, sie zögerte etwas, „ich würde es nur im absoluten Notfall hergeben! So ein gutes Instrument könnte ich mir nie mehr leisten.“
„Du musst es doch nicht sofort verkaufen. Es würde dir doch schon was nützen, wenigstens seinen Wert zu wissen, falls du mal wirklich auf das Geld angewiesen sein solltest“, beschwichtigte Arne und fragte noch: „Wie kommst du überhaupt an deine Sachen ran? Du brauchst doch sicher noch einiges. Aber du solltest alles auf jeden Fall auf deinem Fahrrad alleine transportieren können.“
„Darüber zermartere ich mir auch schon die ganze Zeit den Kopf. Ich denke, ich fahre gegen vier Uhr morgens nach Hause, da schläft mein Vater immer tief und fest seinen täglichen Rausch aus und hört ganz sicher nichts.“
„Bist du sicher?“, fragte Arne besorgt.
„Todsicher! Es gab noch keinen Tag, seit ich denken kann, an dem er nüchtern zu Bett gegangen wäre“, behauptete Tabea und die Zwillinge bedauerten das arme Mädchen einmal mehr.
„Ich werde dich begleiten.“ Arnes Tonfall duldete keine Widerrede und Tabea hatte nichts dagegen. Nur Zippy maulte:
„Ich will aber nicht alleine hier bleiben!“
„Dann kommst du eben auch mit“, entschied Tabea kurzerhand. „Das hätte auch noch den anderen Vorteil“, meinte sie verschmitzt, „wir könnten alles mitnehmen, was sich irgendwie zu Geld machen lässt. Meine besten Bücher, Papas CD-Sammlung, Opas Briefmarken, Mamas Sammeltassen … und die Vorratskammer könnten wir auch noch plündern.“ Dann fügte sie noch sarkastisch hinzu: „Papa spart ja ab heute so viel Geld, wenn er nicht mehr für mich sorgen muss.“
„Okay, dann leeren wir mal alle unsere Packtaschen und Rucksäcke, damit wir so viel wie möglich mitbringen können. Weiß dein Vater was von dieser Hütte und von deinem freundschaftlichen Verhältnis zu Opa Müller?“, wollte Zippy wissen.
„Vermutlich nicht, aber wissen kann man`s nicht. Manchmal hat er durchaus noch ein paar helle Momente“, knurrte Tabea und man konnte den tiefen Hass auf ihren Vater deutlich spüren. Oder war es mehr der Hass auf den Alkohol, der ihren Vater zu dem gemacht hatte, was er heute war?
Arne hatte plötzlich eine Idee:
„Um uns einen kleinen Vorteil zu verschaffen, das heißt, dass dein Vater nach deinem Verschwinden nicht gleich auf die Idee kommt, nach dir zu suchen, könntest du ihm doch weiß machen, dass du mit der Schule auf einer zweiwöchigen Klassenfahrt bist. Wir würden dann erstmal nur die Sachen holen, die er sicher nicht vermissen wird und erst nach den zwei Wochen holen wir den Rest. Sollte er dann bereits anfangen, nach dir zu suchen, sind wir im Heim wahrscheinlich noch die restlichen Tage sicher, bevor wir sowieso ganz von hier verschwinden.“
„Hört sich einerseits ganz gut an, hat aber andererseits den Nachteil, dass wir dann weniger Zeit haben, den Kram zu verkaufen“, meinte Tabea, aber Zippy machte den Vorschlag, zuerst die lukrativen Sachen, deren Fehlen nicht so auffallen würde, zu holen. Tabeas Klamotten und sonstige wichtigen Sachen erst zum Schluss. Alles, was man auf einer Klassenfahrt brauchte, hätte sie in den nächsten zwei Wochen sowieso zur Verfügung. Mit diesem Kompromiss waren schließlich alle einverstanden.
So verbrachten die drei ihre erste gemeinsame Nacht genauso, wie Arne es sich erträumt hatte. Tabea musste in Ermangelung eines eigenen Bettes bei ihm schlafen und das auch noch sehr nahe, da sie nur eine Bettdecke hatten. Beide waren selig, konnten aber wegen der ungewohnten Situation kein Auge zutun. So beschränkten sie sich aufs lautlose Knutschen und Kuscheln, um Zippora nicht zu stören. Diese allerdings schlief tief und fest, vielleicht auch deshalb, weil sie sich hier so sicher und geborgen fühlte und sie sich so sehr für ihren Bruder freute. Endlich hatte es ihn auch mal erwischt und Zippy war mit seiner Wahl äußerst zufrieden.
Um halb vier klingelte Arnes Handy. Erschrocken fuhr er hoch. Er musste wohl doch irgendwann eingeschlafen sein. Benommen tastete er nach Tabea und ein eisiger Schreck durchfuhr ihn. Sie war weg! Lauter als beabsichtigt schrie er nach seiner Schwester: „Zippy! Sie ist weg!“ Erschrocken fuhr Zippora auf. Sie hatte den Weckruf gar nicht gehört. Zuerst kapierte sie nicht, was los war. Erst allmählich wurde ihr klar, warum Arne so aufgelöst war. Sie rappelte sich auf und versuchte, ihren Bruder, der sich auf seine Matratze zurückgeworfen hatte und nur mit Mühe die aufkommenden Tränen zurückhalten konnte, zu beruhigen:
„Vielleicht ist sie draußen nur mal für kleine Mädchen?“
Doch noch während sie das fragte, sah sie im Dämmerlicht einen kleinen Zettel auf dem Tisch liegen. Nachdem sie ihre Taschenlampe gefunden hatte, ging sie zögernd und mit wild klopfendem Herzen darauf zu.
„Da liegt eine Nachricht von Tabea.“
„Lies du sie … ich kann nicht!“, presste Arne hervor und musste nun doch schluchzen.
„Soll ich vorlesen?“, fragte Zippy leise.
„Nein … ich will es nicht wissen“, murmelte er zuerst, aber nach kurzer Zeit überlegte er es sich doch anders.
„Doch – lies vor. Ich muss es ja doch erfahren.“
Zippy, die schon angefangen hatte zu lesen, hätte alles dafür gegeben, ihrem geliebten Bruder diese Zeilen nicht vorlesen zu müssen. Sie räusperte sich umständlich und las leise vor:






Mein geliebter Arne,
ich hab`s mir überlegt. Ich komme nicht mit euch mit. Ich habe zu viel Angst vor dieser ungewissen Zukunft. Was ist, wenn sie uns erwischen? Dann muss ich sicher in ein Heim und das ist noch schlimmer als mein Vater. Es tut mir so leid um uns, denn ich liebe Dich so sehr, dass es weh tut! Macht`s gut Ihr beiden! In Liebe, Tabea

Zippora hatte nun auch Tränen der Enttäuschung, aber auch der Wut in den Augen, als sie Arne den Brief mit spitzen Fingern überreichte, als wäre er giftig. Die nächsten Worte, die Arne sagte, hätte sie nicht für möglich gehalten.
„Ich kann sie sogar verstehen, Zippy. Was ist das schon für ein Leben, das wir führen? Ständig auf der Flucht, kein Zuhause, keine Schule, keine Freunde …“ Es sprach tiefe Verbitterung und Verzweiflung aus seinen Worten.
„ ... aber Liebe, und das ist mehr wert als alles andere!“, kam es plötzlich von der Türe her. Da stand Tabea klatschnass und mit rot geweinten Augen wie ein Häufchen Elend und die Zwillinge sprangen gleichzeitig zu ihr und umarmten sie stürmisch. Kein Vorwurf, kein böses Wort kam ihnen über die Lippen. Sie waren einfach nur glücklich, dass sie wieder zusammen waren. Nach einer kleinen Ewigkeit setze Tabea aber doch zu einer Erklärung an.
„Als ich nach Hause kam, lag mein Vater in seinem eigenen Erbrochenen vor dem Klo. Er hatte sich angepisst und stank so schrecklich nach Alkohol, Kotze und Pisse, dass ich mich schier übergeben hätte. In dem Moment wusste ich, dass ich hier weg musste und zwar für immer! Ich hab ihm einen Zettel geschrieben, dass ich morgen für zwei Wochen mit der Schule auf Klassenfahrt gehen würde und hab auch gleich ein paar Klamotten, Schuhe, Essen, mein Saxophon und ein paar Bücher mitgenommen, denn eigentlich wollte ich euch seinen Anblick heute Nacht ersparen. Wir können es ja morgen Nacht noch mal probieren, oder?“, fragte sie zaghaft. Arne hatte immer noch beschützend den Arm um seine wiedergewonnene Freundin gelegt, allerdings saß ihm der ungeheure Schock weiterhin in den Knochen.
„Wollen wir noch ein bisschen schlafen?“, fragte Zippy, die es nicht gewohnt war, so früh aufzustehen.
„Ja, ich bin auch hundemüde“, gähnte Arne und in einem Anflug von Sentimentalität flüsterte er Tabea zu:
„Hast du was dagegen, wenn meine Schwester auch noch zu uns schlüpft?“
Tabea schüttelte nur lächelnd den Kopf und lud die verblüffte, aber erleichterte Zippy zu sich ins Bett ein.
„Woher wusstest du …?“, hob sie an, doch Arne sagte nur:
„Ich bin dein Zwillingsbruder. Schon vergessen?“
„Nein, natürlich nicht … und ... danke ihr beiden! Ich hab euch auch lieb.“
Damit holte sie ihre Zudecke und kuschelte sich in Arnes rechten Arm, während Tabea es sich mit ihrem feuerroten Schopf auf seiner Brust bequem machte. Obwohl es nun sehr eng auf der einen Matratze war, schliefen sie rundum zufrieden ein.
Ein laut klopfender Specht weckte die drei inzwischen kreuz und quer über der Matratze liegenden Kinder. Sie hatten so fest geschlafen, dass sie nicht gemerkt hatten, wie die Mädchen nur noch zur Hälfte auf der Matratze und Arne seinen Kopf am Fußende davon liegen hatte. Als er die Augen aufschlug, sah er neben sich keine Tabea und auch keine Zippy und mit einem lauten „Nein!“ schoss er in die Höhe und erschreckte damit die Mädels zu Tode.
„Arne!“, rief Zippy und strich sich die verstrubbelten Haare aus dem Gesicht.
„Sag mal – spinnst du?“, schimpfte sie, aber Tabea antwortete für ihn:
„Er dachte wohl, ich wäre schon wieder abgehauen.“
Dabei lächelte sie verständnisvoll und krabbelte zu ihm, um ihm einen flüchtigen „Guten-Morgen-Kuss“ auf die Wange zu hauchen. Arne grinste. Sie hielt sich an ihre Abmachung – braves Mädchen. Zippy allerdings schaute amüsiert zu und sagte wissend:
„ Das haltet ihr nicht lange durch.“
„Was halten wir nicht lange durch?“, fragte Arne scheinheilig.
„Tu nicht so, Bruderherz.“, sagte Zippy in tadelndem Tonfall. „Du weißt genau, was ich meine.“
Sie freute sich königlich, als die beiden rot wie Tomaten wurden.
„Ich bin doch nicht blind. Euch zwei hat`s so richtig erwischt, das hab ich vom ersten Augenblick an in euren Augen gesehen.“
Triumphierend schaute sie von einem zum anderen.
„Auf mich braucht ihr keine Rücksicht zu nehmen – ich freu mich doch für euch! Ihr müsst es ja nicht gleich übertreiben und mich auch ab und zu drücken,“ meinte sie verschmitzt.
„Das kannst du haben“, rief Tabea und Arne setzte hinzu: „Und zwar gleich!“, und damit stürzten sich die zwei Turteltauben auf Zippy, um sie zu knutschen und zu drücken. Diese versuchte unter lautem Gequietsche zu flüchten, bevor sie keine Luft mehr bekam. Japsend rettete sie sich auf ihre Matratze und sagte dann etwas leiser:
„Zur Strafe macht ihr Frühstück und ich schaue nach, ob die Luft rein ist. Wir waren gerade eben nicht besonders leise“, mahnte sie, zog sich ein Sweatshirt über und stapfte barfuß nach draußen. Augenblicklich kam sie wieder zurück. Sie hatte in der Ferne ein Auto gehört, das sich langsam näherte.
„Sch… da kommt ein Auto. Schnell, holt die Räder rein! Ich schließe von außen das neue Vorhängeschloss ab und verstecke mich, um zu schauen, wer das ist“, und schon war sie wieder auf dem Weg nach draußen.
„ …Und vergesst nicht, den Fensterladen zu schließen … und beeilt euch, das Auto ist gleich da!“, rief sie gehetzt über die Schulter. Die zwei hatten die Räder bereits reingeholt und hatten dadurch kaum noch Platz zum Laufen. Klappernd zogen sie den Laden zu und klirrend schloss Zippy das Zahlenschloss ab. In völliger Dunkelheit tastete sich das Pärchen zur Matratze und kuschelte sich ängstlich aneinander. Beide dachten: Na, das fängt ja gut an!
Zippora indessen sah von ihrem Versteck aus einen grünen Landrover heranbrummen. Er fuhr langsam an der Hütte vorbei. Erleichtert stieß Zippy die Luft aus, um sie im nächsten Moment wieder scharf einzuziehen. Der Jeep setzte zurück. Zwei in grün gekleidete Jäger stiegen vor der Hütte aus. Sie mussten wohl im letzten Moment das neue Vorhängeschloss gesehen haben. Im Innern der Hütte wagten auch die anderen beiden nicht zu atmen, als sie Schritte auf das Haus zukommen hörten. Durch die dünnen Wände konnten sie jedes Wort verstehen.
„Schau mal, Hugo. Der alte Müller hat sein altes Schloss aufgebrochen und ein Zahlenschloss drangemacht. Warum wohl?“, fragte der Erste mit rauchiger Stimme.
„Keine Ahnung. Vielleicht hat er seinen Schlüssel verlegt?“, mutmaßte der Zweite. Seine Stimme klang ungewöhnlich piepsig.
„Könnte sein“, gab die Rauchstimme zu.
„Komm, wir gehen mal rund herum und schauen, ob alles soweit in Ordnung ist. Der Müller soll ja bereits morgen von der Reha zurückkommen. Dann werden wir ihn wegen des Schlosses fragen.“
Nachdem sie bei ihrem Rundgang nichts Verdächtiges feststellen konnten, schlurften sie wieder zu ihrem Wagen und fuhren davon. Erst als das Motorengeräusch gänzlich verklungen war, trauten sich die Kinder wieder zu sprechen. Zippora huschte leise aus ihrem Versteck und gesellte sich zu den anderen. Tabea fragte kleinlaut:
„Ist das bei euch jeden Tag so eine Aufregung?“ Arne murmelte nur:
„Nicht jeden“, und Zippy fügte hinzu:
„Höchstens jeden zweiten oder dritten.“
„Na, dann bin ich ja beruhigt!“, presste Tabea hervor und stand auf, um endlich das Frühstück herzurichten.
Diesen Tag, der ihnen nichts als Dauerregen bescherte, verbrachten die Kinder mit Lesen, Lernen, Malen und Erzählen. Bald wussten sie so viel voneinander, als würden sie sich schon ewig kennen. Nur Saxophon spielen traute sich Tabea hier nicht. Sie mussten vorsichtig sein, denn sie wussten nicht, wann wieder Jäger oder Spaziergänger vorbei kommen würden. Auch ihre Fahrräder hatten sie inzwischen im nahen Unterholz versteckt.

Besonders lästig war es, ständig leise sein zu müssen. Wie gerne hätten sie herumgetobt und lauthals miteinander geschäkert. Aber die Angst vor Entdeckung war viel größer und so warteten sie sehnsüchtig auf den Abend, an dem Frau Bader ihnen hoffentlich grünes Licht für das Heim geben würde. Obwohl es abends immer noch leicht regnete, musste Tabea wohl oder übel kurz vor siebzehn Uhr nach draußen gehen und sich verstecken, denn Frau Bader würde sicher bald kommen. Arne gab ihr seine Regenjacke und bedauerte sie ausgiebig, was Zippy ein genervtes Schnauben entlockte.
„Sei bloß froh, dass du bei diesem Sauwetter nicht raus musst“, bekam sie zur Antwort. Doch weiter streiten konnten sie nicht, denn der klapprige Mercedes war in der Ferne schon zu hören. Sie gingen zumindest davon aus, dass er es war. Gerade als Tabea hinter den nächsten Büschen verschwand, kam wirklich Frau Bader um die Ecke. Freudestrahlend kam sie polternd zur Türe hereingeschneit und mit einem: „Wir haben die Schurken!“, ließ sie sich auf einen der Stühle plumpsen.
„Echt? Erzählen Sie!“, riefen die Zwillinge und nahmen ihr gegenüber Platz.
„Also …“, begann Frau Bader und machte es mit ihrer Pause richtig spannend. „Es war tatsächlich einer der Arbeiter und ein Komplize. Gestern Nacht hatten die Polizisten sogar doppeltes Glück, denn die zwei kamen gegen vier Uhr morgens gemeinsam, um die Beute aufzuteilen, da die Malerarbeiten doch heute zum Abschluss kamen.“
Triumphierend hob die übers ganze Gesicht strahlende Dame die Hände hoch:
„Was sagt ihr nun? Übermorgen könnt ihr wieder umziehen.“
Jubelnd sprangen die Zwillinge auf und umarmten die verdutzte Frau stürmisch. Nachdem sich alle wieder beruhigt hatten, erzählte Frau Bader die weiteren Einzelheiten:
„Es war genauso, wie wir vermutet hatten. Zwei Diebe haben in Kaufhäusern Uhren geklaut und sie in dem von euch entdeckten Sack in meinem Vorratskeller versteckt. Gestern wollten sie die Uhren aufteilen, um sie dann über ebay zu versteigern. Nur daraus wird nun Dank euch nichts werden.“
Die Zwillinge lächelten stolz.
„Und das Beste ist“, fuhr Frau Bader fort, „ich habe sogar fünfhundert Euro für meinen Hinweis bekommen, das heißt, ich bekomme sie noch, wenn alle Formalitäten erledigt sind – was ja leider etwas dauern kann. Selbstverständlich bekommt ihr das Geld“, strahlte sie die Kinder an und die konnten ihr Glück kaum fassen. Wieder waren ein paar Wochen gerettet.
Diesmal hatte Frau Bader einen großen Topf mit selbstgemachtem Gulasch mitgebracht. Er sollte für zwei Tage reichen, da sie morgen am Sonntag nicht kommen konnte. Eine Nichte hatte Kommunion und da musste sie natürlich hingehen. Aber am Montag früh wäre sie bereit für den Umzug. Mit diesen Worten verabschiedete sie sich und Tabea konnte völlig durchnässt wieder herein kommen und die frohe Botschaft vernehmen. Hoch erfreut, bald in ihr angenehmes und sicheres Quartier zurückkehren zu können, machten sich die drei gierig über den Eintopf her. Doch Arne bremste sie, bevor sie richtig satt waren, denn das Essen musste für morgen auch noch reichen.
Den restlichen Abend verbrachten sie mit Lernen, wobei Tabea den Zwillingen Nachhilfe in Mathe und Deutsch gab und Tabea den Wunsch äußerte, Italienisch lernen zu wollen. Gemeinsam brüteten sie noch über englischen Texten, bis ihnen gegen Mitternacht beinahe die Augen zu fielen. Sie fühlten sich sehr sicher in ihrer Hütte, denn bei diesem starken Regen würde sich bestimmt niemand in den Wald verirren. Deshalb dachten sie auch nicht daran, in Schichten zu schlafen, was ihnen beinahe zum Verhängnis wurde.
Kurz vor Mitternacht, die Kinder schliefen tief und fest, machte sich ein junges Pärchen kichernd an dem Vorhängeschloss zu schaffen. (Arne hatte am Abend von außen abgeschlossen und war wieder durchs Fenster hinein geklettert.) Zum Glück hatten die beiden kein geeignetes Werkzeug dabei und so zogen sie unverrichteter Dinge wieder ab.
Die drei vom Lernen total erschöpften Schläfer in der Hütte bekamen von all dem nichts mit. Sie wunderten sich nur am nächsten Tag über die Spuren im Matsch vor der Türe sowie über die Kratzer an Kette und Schloss und wurden kreidebleich. Wer hatte sich daran zu schaffen gemacht? Und würde der- oder diejenigen wieder kommen?
„Hier sind wir nicht mehr sicher“, stellte Zippy ernüchtert fest.
„Aber wir können doch nirgends hin! Wir dürfen doch erst morgen Früh umziehen. Was machen wir dann heute Nacht, wenn wieder jemand kommt?“, wollte Arne angstvoll wissen.
„Wir spuken!“, kam es wie aus der Pistole geschossen von Tabea.
„Wir spuken?“, fragten die Zwillinge wie aus einem Munde.
„Klar, das vertreibt doch jeden Eindringling, zumal hier so einsam im dunklen Wald“, meinte Tabea unerschrocken und erläuterte den beiden ihren Plan.

Der Tag verging wie im Fluge, obwohl sie sich an diesem Sonntag nur auf einen Toilettengang nach draußen wagten. Die Regenwolken hatten sich endlich verzogen und die Sonne strengte sich mächtig an, die tropfnassen Bäume und die verschlammten Wege wieder zu trocknen. An diesem herrlichen Frühlingstag wimmelte es geradezu vor Wanderern, die in Scharen auch an der Hütte vorbeizogen. So sahen die Menschen nur eine verschlossene Hütte und die Kinder versuchten, äußerst leise zu sein, was bei den ständigen Neckereien, vor allem zwischen Tabea und Arne nur sehr schwer möglich war.
Einmal, nach einem besonders lauten Kichern, musste Zippy eine Elster nachahmen, um die argwöhnisch in der Nähe der Hütte stehen gebliebenen Wanderer davon zu überzeugen, dass sie sich bezüglich der verdächtigen Geräusche getäuscht haben mussten. Ärgerlich knuffte sie die beiden Verliebten in die Seiten:
„Jetzt reißt euch mal zusammen, oder wollt ihr, dass man uns entdeckt?“
Betroffen und kopfschüttelnd senkten die beiden ihren Blick, um aber gleich darauf wieder loszuprusten, allerdings so leise, dass man es draußen, auch wegen des Rauschens im Wald sicher nicht hören konnte.

In dieser Nacht wurde wieder eine Nachtwache eingeteilt, das heißt, Tabea und Arne durften bereits um zweiundzwanzig Uhr schlafen und Zippy musste bis zwei Uhr ausharren. Die Zeit von zwei bis sechs Uhr, wo für Tabea und Arne schon wieder Zeit zum Aufstehen sein würde, wollten sie wie gewohnt unbewacht lassen. Wer würde schon um diese Zeit draußen im Wald rumgeistern? Doch sie sollten sich wieder getäuscht haben!

Kurz nach zwei Uhr, Zippora war gerade erst eingeschlafen, kratzte es leise an der Türe. Niemand hörte etwas. Zippy glaubte zwar im Halbschlaf eine Kette rasseln zu hören, doch sie baute es in ihren Traum ein und wurde zunächst nicht wach. Erst als das Kratzen und Rasseln lauter wurde, schlug sie verstört die Augen auf. Das unheimliche Geräusch in diesem dunklen Raum trieb ihr eine Gänsehaut über den Rücken. Sie rappelte sich hoch und krabbelte im Dunkeln zu den anderen um sie zu wecken, denn sie wusste nicht, was sie sonst tun sollte. Das Kratzen wurde immer energischer und Zippy bekam immer mehr Angst. Was oder wer könnte das bloß sein? Endlich glaubte sie, die Hand ihres Bruders gefunden zu haben und rüttelte kräftig daran. Sie wusste, dass sie fast grob werden musste, um ihn wach zu kriegen. Endlich rührte sich etwas. Arne kämpfte sich hoch.
„Was`n los?“, murmelte er verschlafen.
„Hör doch!“, schnauzte Zippy ihren begriffsstutzigen Bruder an.
„Da kratzt jemand an der Türe“, stellte Arne relativ gelassen fest.
„Da versucht jemand, hier rein zu kommen, oder nicht?“, wisperte Zippy immer noch voller Angst. Arne robbte näher zur Türe und lauschte angestrengt auf die andauernden Kratzgeräusche. Wieder zurück bei den Mädchen, Tabea war inzwischen auch aufgewacht, flüsterte Arne:
„Also Mädels – für mich hört sich das nicht nach menschlichen Aktivitäten an. Vielleicht macht sich da nur ein Tier zu schaffen.“
„Meinst du?“, flüsterte Tabea und Zippy schlug vor:
„Sollen wir nachschauen?“
„Wenn es aber doch ein Mensch ist?“ Arne wurde nun doch etwas unschlüssig. Doch Tabea antwortete nur frech:
„Dann spuken wir, wie wir`s geplant haben.“
Arne hatte sich inzwischen wieder beruhigt und sich nebenbei Hose und Schuhe angezogen. Er schickte sich an, zum Fenster hinaus zu klettern, doch Tabea hielt ihn zurück:
„Sei vorsichtig! Und lass dich um Himmels Willen nicht erwischen“, flüsterte sie und gab ihm einen Kuss. Dieser fiel jedoch etwas zu stürmisch aus und Arne fiel beinahe aus dem Fenster. Entsetzt konnte er sich gerade noch am Fensterrahmen festklammern, bevor er nach draußen sprang. Tabea reichte ihm noch eine Taschenlampe und Arne konnte seine Schwester von drinnen spotten hören:
„Also wirklich Tabea! Jetzt hättest du beinahe unseren kühnen Retter zu Tode gestürzt.“
Arne verzog mürrisch das Gesicht und nahm die Taschenlampe, obwohl er sie wahrscheinlich zunächst nicht einsetzen würde. Er hatte nicht vor, den vermeintlichen Einbrecher dadurch auf sich aufmerksam zu machen. Äußerst vorsichtig schlich Arne um die Ecke und spähte im fahlen Mondlicht hinüber zur Türe. Etwas Menschenähnliches war nicht zu erkennen, dafür machte sich aber etwas wesentlich kleineres am Boden vor der Türe zu schaffen. Arne war sich hundertprozentig sicher, dass hier irgendein Tier sein musste und traute sich nun doch, die Taschenlampe zu benutzen. Er leuchtete genau an die Stelle, wo das scharrende Geräusch zu hören war und sah … einen Fuchs, der hingebungsvoll am Kratzen war. Selbstverständlich nahm dieser sofort Reißaus und Arne stieß einen erleichterten und triumphierenden Schrei aus:
„Ich bin ein Held! Ich habe den schrecklichsten aller schrecklichen Eindringlinge in die Flucht geschlagen!“, rief er und schlug sich im nächsten Augenblick entsetzt auf den Mund, weil er so unvorsichtig laut gewesen war. Schnell huschte er zum Fenster zurück und ließ sich von den Mädels hochziehen.
„Mein Held“, hauchte Tabea theatralisch, denn sie war, wie Zippy auch, unendlich erleichtert, dass es nur ein Tier gewesen war, welches ihre letzte Nachtruhe hier in dieser Hütte gestört hatte. Zufrieden kuschelten sie sich wieder in ihre Betten und versuchten, bis zum frühen Weckerklingeln noch eine Mütze Schlaf zu bekommen.

Am nächsten Morgen wurde es dann auch gleich richtig hektisch, denn Tabea musste ihre zum Glück schon gepackten Sachen und ihre Schlafutensilien auf ihr Fahrrad laden und sich damit im Wald verstecken. Die Zwillinge hatten ihr den Weg zum Heim bereits genau beschrieben und so konnte sie später unauffällig folgen. Frau Bader kam wie immer pünktlich und sie hatten auch Glück mit dem Wetter, es war trocken und warm. Das Verladen klappte reibungslos und die Zwillinge fuhren wieder hinter dem Mercedes her. Tabea wollte sich noch so lange verborgen halten, bis Frau Bader das Heim wieder verlassen hatte. Arne sollte ihr eine SMS schicken. Die Zwillinge staunten nicht schlecht, als Frau Bader sie durchs Haus führte. Die Wände erstrahlten in hellen Gelb- und Orangetönen, was dem ganzen Haus einen leicht mediterranen Touch verlieh und sich die Zwillinge sofort in ihre alte Heimat versetzt fühlten.
Dieses Mal durften sie eines der richtigen Schlafzimmer beziehen. Die umsichtige Frau hatte eines ausgewählt, dessen Fenster nach hinten zum Wald hin zeigte. So konnte ein eventueller Lichtschein nicht vom Dorf aus gesehen werden. Das Zimmer lag im ersten Stock gleich gegenüber des Arbeitszimmers, das für die nächsten Wochen der tägliche Arbeitsplatz der Kinder werden sollte. Glücklich ließen sich die Zwillinge auf ihre neuen Betten plumpsen. Die Hausherrin freute sich mit ihnen und sagte zu, jeden Abend um siebzehn Uhr nach ihnen zu sehen. Ab heute sollten sich die Kinder allerdings ihr Essen selbst kochen, denn es waren immer noch genügend Vorräte da. Arne konnte es gar nicht erwarten, seiner Tabea endlich die ersehnte SMS schicken zu können, doch die Chefin des Hauses sagte gerade in diesem Moment:
„Ich werde heute noch bis mittags am Computer zu tun haben, ihr könnt euch ja so lange endlich mal wieder duschen und Haare waschen und euch häuslich einrichten“, entschied sie kurzerhand und die beiden wagten keinen Widerspruch. Arne holte maßlos enttäuscht sein Handy heraus, ließ sich seine Gefühle aber nicht anmerken. Er schrieb an Tabea: „Hallo mein Schatz! Luft leider noch nicht rein. Erst nach Mittag. Sorry – halte durch – ich vermisse dich!! Arne.“
Erst unter der Dusche entspannte er sich wieder und alberte mit Zippy in dem großen Mädchenduschraum herum. Bei seiner Schwester hatte er immer noch keine Hemmungen, nackt herum zu springen. Wenn Tabea dann hier sein würde, würden sie sicher getrennt duschen, das war klar. Sie spielten ausgelassen Fußball mit einer alten Seife, bis der Boden auch anfing, glitschig zu werden. Es tat so gut, endlich wieder nach Herzenslust toben und laut sein zu dürfen.
Beim anschließenden Abtrocknen musterte Arne immer wieder unauffällig seine Schwester. Die so genannte „Beulenpest“ fing jetzt wirklich auch bei ihr an und die ersten schwarzen Härchen wurden unten sichtbar, wie bei ihm langsam auch. Nur sein bestes Stück könnte ruhig etwas schneller wachsen, fand er. Zum Glück war Zippora so mit ihren Haaren auf dem Kopf beschäftigt, dass sie die Blicke ihres Bruders gar nicht bemerkte. Nach dem Frischmachen rannten sie zuerst in die Küche, um sich ein verspätetes Frühstück zu gönnen. Immerhin war es inzwischen schon zehn Uhr. Dabei mussten sie ständig an die arme Tabea denken, die immer noch dort draußen im Wald auf ein Zeichen von ihnen warten musste.
Es war bereits weit nach zwölf Uhr, als Frau Bader endlich in ihr Zimmer kam und sich verabschiedete. Kaum hörten sie den Kies unter den Autoreifen knirschen, schickte Arne die lang ersehnte SMS an Tabea ab. Jetzt konnte sie sich endlich auf den Weg machen. Währenddessen hatten sich die Zwillinge in einem anderen Zimmer postiert, um den Parkplatz im Auge zu behalten. Falls Frau Bader doch noch mal zurückkommen sollte. Tabea sollte ihr schließlich nicht in die Arme laufen.
Aber ihre Angst war unbegründet und Tabea wurde mit großem Hallo empfangen. Nun stellte sich die Frage, wo Tabea schlafen sollte, denn es wäre schon riskant gewesen, wenn die Kinder noch ein weiteres Zimmer bezogen hätten. Arne wagte einen schüchternen Vorschlag:
„Also, wenn niemand was dagegen hat, wäre ich bereit, mein Bett mit dir zu teilen.“
Dabei zwinkerte er Tabea verliebt zu. Diese wagte nicht zu antworten und gemeinsam schauten sie Zippora fragend an.
„Was schaut ihr mich dabei so an? Ich bin kein Elternteil, der das verbieten könnte. Wobei ich mir hundertprozentig sicher bin, dass die entschieden was dagegen hätten. Ich frage mich nur, ob ihr in diesem schmalen Bett überhaupt zu zweit schlafen könnt“, wandte sie ein.
„Um nicht entdeckt zu werden, nehme ich jede Unannehmlichkeit in Kauf!“ posaunte Tabea und handelte sich damit einen empörten Rippenstoß von Arne

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