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Günter Nehring
Nachtzug in Schieflage


Taschenbuch Februar 2023
264 Seiten | ca. 12,5 x 19,0 cm
ISBN: 978-3-96014-978-1
ISBN (E-Book): 978-3-96014-995-8



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Ein Roman zur Zeit der Goldenen Zwanziger Jahre führt uns mit einem Verlobungspaar im Orient-Express von Wien nach Paris. In München steigen weitere ganz unterschiedliche Personen zu. Es kommt zu ersten kritischen Begegnungen, die wegen einer Umleitung in einem Zugunglück bei Biberach ihren Höhepunkt erreichen. In Paris gibt es einen Skandal mit einem weiteren Liebespaar des Zuges und den Mitreisenden, wobei sich auch der französische Geheimdienst einschalten muss. Nach teilweise turbulentem Aufenthalt in der Hauptstadt geht jeder auf seiner Rückreise zunächst eigene Wege, ehe sich in München und Wien ein Hoffnungsschimmer für die zwei Liebespaare auftut. Aber sicher, dass jeder Topf wieder seinen Deckel findet, ist noch lange nicht ausgemacht.
Wien 1925

Das Jahr 1925 war in Wien, wie auch anderswo in den meisten europäischen Staaten, ein Jahr der „Goldenen Zwanziger“. Der Begriff veranschaulichte den Wirt-schaftsaufschwung in den 1920er Jahren in vielen Industrieländern und stand auch für eine Blütezeit der Kunst, Kultur und Wissenschaft. Die Weltwirtschafts-krise machte auch erst 1929 in der Welt ihre Runde, und der 1922 zum ersten Mal gewählte Bundeskanzler Ignaz Seipel hatte daher eine verhältnismäßig geruhsame Staatsführung zu bewältigen. Während es in Deutschland zur Zeit der Weimarer Republik schon zu brodeln begann, hatten Seipel und seine Nachfolger noch ein paar Jahre Zeit, ehe Adolf Hitler sich „sein“ Österreich einverleibte.

Aber längst nicht alle Einwohner von Wien und Umgebung befanden sich zu dieser Zeit auf der Sonnenseite des Lebens. So zum Beispiel die Familie von Kessler-Franz, einem jungen Mann von acht-zehn Jahren, hochgewachsen, gutaussehend, stets gut gelaunt, insgesamt ein richtiger Sonnyboy. Er wurde in Imsterberg, Tirol, geboren und wuchs dort wohlbehütet in einem Bahnwärterhaus des Ortes auf. Sein Vater war Bahnwärter und verantwortlich für die händische Bedienung – übrigens die letzte in Österreich, die bis 20.11.2019 noch so bedient wurde − von vier Schranken und einem Blocksignal der stark befahrenen Bahnstrecke der Österreichisch-ungarische Staatsbahn zwischen Wien und Bregenz. Sein Monatslohn hielt sich in Grenzen, sodass die Familie wie man sagte, gerade so durchkam. In einem zwölf Stunden dauernden Einsatz musste er alle angekündigten Zugbewegungen telefonisch entgegen-nehmen und die Schranken- und Signalöffnungen sowie ihre Schließungen im Gegenzug an eine Kontrollstelle bestätigen. Seine Frau, also Franz´s Mutter, beschäftigte sich in dem angeschlossenen Gärtchen mit einer kleinen Hühnerzucht, deren Eierproduktion in bescheidenem Rah-men nur für die Familie und die nähere Umgebung ausreichte. Das Auskommen der Familie erhielt dadurch also keine wesentliche Wertsteigerung.
Franz war, wie man im Volksmund so sagt, „ein fauler Strick“. Schon in seiner frühesten Jugend ließ er gelegentlich andere für sich arbeiten. Wenn er zum Beispiel plante, einen ihm nicht genehmen Jungen in der Gasse zu verprügeln, hetzte er andere Jungen derart gegen diesen Kandidaten auf, dass diese die entsprechende Arbeit für ihn erledigten. In der Schule glänzte er mehr durch Schein als Sein, so dass er die Lehrer hin und wieder bezüglich des Grades seines Wissensstandes irritierte. Mit viel Mühe und unter vorhergehenden gewaltigen Straf-predigten seines Vaters schaffte er schließlich ‒ wie er es großspurig formulierte – das „Hauptschulabitur“.
Für eine weitere Ausbildung, als was auch immer, zeigte er sich nicht gerade aufgeschlossen. „Es geht doch auch so“, kommentierte er die lautstarken Hinweise und Empfehlungen seines immer ungeduldiger werdenden Vaters. „Ich lebe doch gut so, warum sollte ich das ändern?“ Er entwickelte sogar sehr zum Unwillen des Vaters ‒ und der armen Mutter blieb dabei die Spucke weg ‒ seinen eigentlich nur für Beamte gedachten Kariereplan: „Wer nichts tut, macht nichts falsch. Und wer nichts falsch macht ist gut. Und wer gut ist wird befördert – na, das ist doch was fürs Leben, oder?“ äffte er in die Runde.
Aber all seine Weigerungen verstummten von dem Moment an, als es die Familie eine Weile nach diesem Gespräch besonders hart traf.
Wie es an allen Tagen während der Dienstzeit von Vater Kessler üblich war, brachte ihm auch diesmal sein getreues Eheweib zur Kaffeezeit das braune Heißgetränk mit einem Topfentascherl, die sie zweimal in der Woche gewöhnt war zu backen. Und wie sie gerade die Tür zum Dienstzimmer ihres Mannes öffnete, stürzte sie und der ganze Segen auf dem Tablett verteilte sich großzügig im Raum. Ihr Mann brach unverzüglich das gerade geführte Telefongespräch zur Bestätigung der Schrankenbe-dienung ab und sprang sofort seiner Frau zur Seite. Er versuchte sie aufzuheben und aus ihrer anscheinend eingetretenen Ohnmacht aufzuwecken. Aber all seine so ausdauernd und intensiv geführten Wiederbelebungsver-suche waren vergebens – Ursache: Herzschlag; aus – es war nichts mehr zu retten. Welch ein Drama für das Opfer und den Rest der Familie.
Und derweil kam immer wieder aus dem vom Tisch baumelnden Hörer des Telefons, den er in der Eile fallen ließ, der verzweifelte Ruf: „Nun bestätigen Sie doch endlich die Schrankenschließung.“ Sie waren gottlob schon vorher geschlossen, das Signal stand auf freie Fahrt, eine mögliche Katastrophe war gebannt.
Franz war danach, was zumindest seine Zukunft anging, wie verwandelt. Er versicherte seinem Vater möglichst bald eine Ausbildung antreten zu wollen. Ja, Konditor wollte er werden, entschied er so spontan, wie er immer war. Nicht Bäcker für Brötchen und Brot, da müsste man ja schon frühmorgens um vier Uhr am Ofen stehen, und auch die anderen Gebäcksorten waren ihm zu billig. Nein. Torten mussten es sein, Konfekt und andere Lecke-reien, auf die die Wiener und ihre Touristen zu jeder Jahreszeit flogen.
Sein Vater war einerseits ob dieser hochtrabenden Träume natürlich stolz, „Aber meinst du, du hast mit Deinem dünnen Schulabschluss eine Chance?“, warf er ein.
„Wer nichts wagt, der nicht gewinnt“, gab sich Franz großspurig, „ich versuch es gleich mal mit einer Bewer-bung bei Hotel Sacher, haben die nicht auch ein Café?“
„Junge, Du bist größenwahnsinnig geworden, die nehmen Dich nie“, war sich der Vater sicher, „fang doch lieber mal ganz klein an, hier in Imsterberg oder von mir aus auch in Bregenz. Warum muss es denn gleich Wien sein, und dann noch ausgerechnet beim berühmten Café Sacher?“
Aber Franz hatte schon Feuer gefangen.

verfasst von Ute Wimpff am 24.03.2023:BewertungssternchenBewertungssternchenBewertungssternchenBewertungssternchenBewertungssternchen
Verfasst von Ute Wimpff

Hut ab vor diesem unterhaltsamen Roman, der in historische Gegebenheiten eingebunden ist, die man beim Lesen wieder erinnert. Die Außenwelt versinkt und man geht erwartungsvoll mit den Protagonisten auf die Reise nach Paris. Hier finden sich Geschichten von Menschen, die dem Leben abgelauscht sind und tatsächlich so sein könnten. Mit dem Eintauchen in die 1930er-Jahre erlebt man einen Blick in eine Welt ohne Handy und moderne Medienwelt. War sie deshalb besser? Mitnichten! Die Menschen liebten und lachten, hassten und waren so missgünstig, wie zu allen Zeiten. Der Autor Günter Nehring vermittelt mit seinem Buch eine Leichtigkeit, die für den Urlaub am Strand genauso lesenswert ist, wie für dunkle Winterabende.


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