Karl Maria Machel
Liber Veronika
Ein Anfang von Etwas
Taschenbuch September 2017
318 Seiten | ca. 14,8 x 21,0 cm
ISBN: 978-3-96014-338-3
Liber Veronika
Ein Anfang von Etwas
Taschenbuch September 2017
318 Seiten | ca. 14,8 x 21,0 cm
ISBN: 978-3-96014-338-3
Der wahre Schriftsteller lebt immer nur von Erinnerungen, oft geborgten Erinnerungen, die mit einem bittersüßen Nachgeschmack von Nostalgie versehen sind. Er, also ich eigentlich, erinnere mich an die Liebe, die es nie gab.
Die Liebe, wie sie ist, ist wunderschön oder grässlich, wenn sie nicht erwidert wird; und sie ist so schön und so schrecklich wie alle Liebschaften auf dem Erdenrund.
Doch gerade die Liebe, die es nie gab, ist die Schönste, sie ist mehr als real, denn sie ist eine Liebe im Geiste, Agape, und somit schon rein als geheiligt. Und davon möchte ich schreiben, heilig und profan, und sie gab es wirklich, denn ich habe sie in meinen Träumen, den schriftstellerischen natürlich, selbst erlebt... und dort ist ja jedes Wort (fast) wahr...
Und so breche ich noch einmal auf in die Ferne, um dort gemeinsam zu lieben in mir mit
Ihr...
Die Liebe, wie sie ist, ist wunderschön oder grässlich, wenn sie nicht erwidert wird; und sie ist so schön und so schrecklich wie alle Liebschaften auf dem Erdenrund.
Doch gerade die Liebe, die es nie gab, ist die Schönste, sie ist mehr als real, denn sie ist eine Liebe im Geiste, Agape, und somit schon rein als geheiligt. Und davon möchte ich schreiben, heilig und profan, und sie gab es wirklich, denn ich habe sie in meinen Träumen, den schriftstellerischen natürlich, selbst erlebt... und dort ist ja jedes Wort (fast) wahr...
Und so breche ich noch einmal auf in die Ferne, um dort gemeinsam zu lieben in mir mit
Ihr...
ERSTES BUCH
Vera oder Der Beginn von Etwas
Celinde, sie nimmt die leere Flasche Wein, welche mir schon seit längerem als Kerzenständer dient, entpfropft sie, befreit sie von der Kerze und setzt die Flasche an ihre Lippen. Sie stellt sie vor mich hin, sie ist nun gefüllt, gefüllt mit ihrem glutflüssigen Lippenwein, dann schenkt sie zwei Gläser ein und wir trinken. Verspielt blinzle ich ihr zu.
Endlich kann ich wieder spielen, gemeinsam mit ihr. Ich leere mein Glas und nehme die von ihr gebenedeite Flasche, sie ist voll, bis oben hin. Ich befülle mein Glas und die Flasche ist immer noch voll. Dankbar blicke ich Celinde an.
„Ein kleiner Trick,“ raunt sie. „Wenn’s nicht mehr klappt, strull ich die Gläser eben voll...“ lacht sie. Ich traue ihr das zu, meiner Celinde Vera Juventas.
„Spinne er fort und verwebe mich mit dem Faden seiner Geschichte...“
„Göttliche Arachne, es sei... Nun gut also. Es war eigentlich ein schöner Tag, erinnerst Du Dich? Ich weiß es noch wie heute: Ich war gerade dabei...“
Celi als Vera Bildnus legt den Finger auf meine Lippen: „Er... mein Schatz, er, Johannes Karlmann war gerade dabei...“
Es war ein beginnender Frühling, irgendwann im April oder Mai und er war gerade dabei die Neuerwerbungen zu inventarisieren, als sie eintraten.
„Johannes, ich möchte Dir unsere neue Mitarbeiterin...“ schon unterbrach die Personenrufanlage die Chefin ‘...Frau Doktor Rolland, bitte Neun anwählen, Ferngespräch...’
„In dieser Hütte hat man nie seine Ruhe“, sie verdrehte die Augen, „Ihr entschuldigt mich... stellt Euch selber vor, ihr seid ja alt genug.“ Dr. Beate Rolland strebte ihrem Büro entgegen.
„Ja, also... ich bin die Neue!“ ganz ungezwungen stellte sie sich vor ihn hin, nahm das alles von der humorvollen Seite, und reichte ihm die Hand, warm war die und hatte einen festen Händedruck, irgendwie besitzergreifend. Eine Frau, die anfassen, zupacken konnte, in deren Hände man sich wohl fallen lassen konnte. All das ging ihm durch den Sinn. „Knoop, mein Name, von Knoop, Vera von Knoop.“ und sie sah ihn mit azurblauen Augen an, „Dr. Vero von Knoop... um korrekt zu sein.“ und wurde ein klein wenig rot dabei.
Er lächelte verlegen, etwas linkisch. Vielleicht schlug hier schon Psyche zu... und sie sah auf sein Namensschild. „Ah, Herr Eichstätt!“ Ihr Lachen war ihm als erstes aufgefallen, es war ein klein wenig zu laut.
Sie hatte leicht schrägstehende Augen, die ihr einen sehr sanften Raubtierblick verliehen. ‘Augen voller Himmelslicht,’ dachte er dann. ‘Darein kann man sich fallen lassen.’ Rank und schlank war sie gewachsen und hatte ihre blonde Mähne mit einem blauen Gummiring gebändigt. Sie mochte vielleicht so alt wie er sein; irgendwo um die Vierzig.
„Ja korrekt: Eichstätt“, stellte er sich vor, „Johannes Karlmann Eichstätt...“
„So heißt doch auch dieses kuschlige kleine Unistädtchen im Altmühltal, oder?“
„Ja, genau, vielleicht kommen meine Vorfahren daher. Es soll noch entfernte Verwandtschaft...“ er vollendete den Satz nicht. Sie hatte ein gewinnendes Lächeln, diese Neue, er faßte sich, „...ein beschwingtes Bischofsstädtchen mit romanischgotischem Dom und bezauberndem Residenzplatz im einheitlichen Rokoko. So oder so ähnlich steht’s in einem Reiseführer.“
Sie lachte, ihre Augen blickten interessiert, fixierten bald das eine, bald das andere Auge seines Gesichts. Irgendwie signalisierte dies Interesse.
„Und sie kümmern sich hier um die Lektüre?“ sie sah sich interessiert um. Wärme schien von ihr auszugehen, so hatte er das Gefühl. ‘Blond, dort war die Sonne zuhaus.’
„Nun ja... einer muß...“ brummte er, eher bescheiden.
„Dann sind Sie also der Bibliothekar des Instituts... muß ich mich mit Ihnen gutstellen, um immer die nötige, die benötigte Lektüre zu erhalten...“ sie schritt durch die Regalreihen. „Sagen Sie, was machen die Bücher eigentlich, wenn sie nicht gelesen werden? Als kleines Mädchen hab ich mir oft diese Frage gestellt... Können Sie mir das beantworten?“
„Nichts leichter als das...“ Er verzog keine Miene, „sie stehen in den Regalen und träumen von den Zeiten, als sie noch Bäume waren...“
„...von den Zeiten, als sie noch Bäume waren...“ echote sie. „Das ist schön...“
‘Wie Sie... schmusiger Hintern,’ dachte er, ‘jedenfalls in der Verpackung.’ „Unter anderem der Bibliothekar...“, sagte er, „Ich registriere auch die Neuzugänge...“
„Mich auch?“ unterbrach sie ihn.
„Nur auf Wunsch...“, er verzog keine Miene. ‘Ihr Lächeln ist wie der Beginn eines Sommers, unbefangen, und dann bald sanft wie der Sonnenaufgang eines sich versprechenden Tages...’
Im Lächeln liegt ein Hauchen, welches verwandt dem göttlichen Hauchen des Anfangs ist, eben seinem Geiste, der wie das alte Lied es besingt, über den Urfluten, dem Tohuwabohu schwebte, und der wohl in jedem menschlichen Geist haust. Eben der Anfang, dem ja bekanntlich ein Zauber innewohnt. Wie das Hervorbringen des Frühlings aus dem Winter, nicht etwa aus dem Nichts, nur aus dem Anderen. Im Lächeln, im Hauchen, im Atem gebiert sich die Welt. Manchmal.
Und der Atem kennt seine Tages- und Nachtzeiten. In der Hetze des Augenblicks jagt er dahin, treibt uns voran und erst in der Nacht verflacht er, hält ein wenig inne, heißt die Zeit langsamer verstreichen um das schlummernde Wesen träumend, doch seiend im Leben zu halten.
Aus dem Atem tritt auch der Geist des Anderen und macht sich kenntlich in dem, was der oder die Andere diesem ihrem Atem mitgibt. Ihm ist zu lauschen und was er bewegt, ist zu vernehmen. Dem Vernehmen nach, worin auch das Wort Vernunft enthalten ist, ist eine Gabe des Anderen, die man getrost annehmen darf.
‘Und ihr Lächeln, wie helles Licht auf dunklen Wassern,’ hatte er vernommen; es war angekommen auf der Reise vom Mensch zum Menschen.
„Hier kann man sich wohlfühlen“, schwärmte sie und strahlte ihn an; ‘dieses atemberaubende Blau,’ dachte er und lauschte ihrer Stimme, ‘wie helles Licht auf dunklen Wassern; – doch blaue Augen machen noch keinen blauen Himmel, blonde Haare kein Sonnenlicht und rote Lippen kein offenes Herz.’
„Dann weiß ich ja nun, wer mir meine Bücher zu Hause ordnet und wieder auf Vordermann bringt...“ er blickte sie fragend an, „...kleiner Scherz... Sie sehen, ich habe gleich Hintergedanken...“
‘Und ich die Hinterngedanken...’ dachte er vergnügt beim Betrachten ihrer Rückseite, verzog aber keine Miene.
„Können Sie auch restaurieren?“ sie wies auf einen Arbeitstisch, auf dem einige recht ramponierte Exemplare der Gattung Buch ihrer Heilung harrten.
„Nun ja, das auch“, er korrigierte sich, „aber das sollte man doch besser den Spezialisten überlassen. Ich stelle lediglich die Gebrauchsfähigkeit wieder her. Alles was älter als zweihundert Jahre ist, gebe ich weiter an unsere Restauratoren...“
„Gut zu wissen...“ warf sie ein, „Sie haben einen schönen Arbeitsplatz... Dr. Buch...“
„...vor allem eine ruhige Klientel. Die Literatur überlistet den Tod, sie verewigt des Schriftstellers Geist im Bücherregal;“, stellte er nüchtern fest, „Was bleibet aber, stiften die Dichter... wußte schon Hölderlin. ...aber Sie haben irgendwo recht, Frau Doktor von Knoop, ich gehe mit Borges konform, der sich das Paradies in Gestalt einer Bibliothek vorstellte...“
„Sie lesen Borges?“ wieder fixierte sie ihn interessiert.
„...hin und wieder...“ gab er zu. Er wandte sich wieder seiner unterbrochenen Tätigkeit zu. Sie stromerte durch die Reihen der Regale, besah bald hier, bald dort ein Buch, las und murmelte halblaut Titel und Autoren, manchmal leicht verzückt. William von Baskerville mußte es in der Klosterbibliothek ähnlich ergangen sein... er lächelte mild, eher in sich gekehrt.
Sie hatte ein Buch über Kunstgeschichte in der Hand, las kurz etwas an und er trat, zugegeben, flüchtig hinter sie, stellte einen neuen Band ein. Er sprach sie nicht an, machte sich so hintergründlich wie möglich, und entfernte sich schweigsam. „Endlich ein diskreter Bücherwächter...“ sprach sie halblaut.
„Lesen ist wie Schlafen und Träumen, der Mensch ist in einer anderen Welt; man sollte ihn nicht wecken...“ zitierte er Benz.
„Sie sind ein kluger Mann!“ versuchte sie sich einzuschmeicheln.
„Ich möchte Sie bitten, Frau Dr. von Knoop, alle Bücher bitte peinlichst genau an den Ort zurück zu stellen, wo Sie sie entnommen haben...“ sagte er nach einigen Minuten, ohne sich nach ihr umzuwenden.
Sie schüttelte den Kopf über seine irgendwie spröde Art, antwortete aber: „...geht klar: a.a.O. – am angegebenen Ort!“
„E b d Punkt.“ antwortete er trocken, „Ebenda!“ und sie war sich nicht sicher, ob sie lächeln sollte. „Gibt es eine Bestandskatalog?“ fragte sie stattdessen.
„Steht gleich in Ihrer Nähe, ein Regal links von Ihnen...“
„Sie geben mir Rätsel auf“, gab sie zu, „Sie sehen mich nicht an und wissen doch wo ich bin?!“
„Sie haben einige Titel gemurmelt, ich werd’ ja wohl noch wissen, wo ich die eingestellt hab’.“ Er wandte ihr immer noch den Rücken zu, sie konnte nur seinen weißen Kittel sehen. Seine Stimme klang vollkommen gleichgültig. „Sie können die aktuellen Bestände auch jederzeit an Ihrem Rechner abfragen...“
„Nicht diejenigen haben Bücher recht lieb, welche sie unberührt in ihren Schränken aufheben, sondern sie Tag und Nacht in Händen haben.“ Frau Rolland war zurückgekehrt.
„Erasmus von Rotterdam.“ kommentierte Dr. Buch nüchtern.
„Ihr Büro ist gleich neben dem von Herrn Eichstätt.“ Die Chefin lächelte mild. „Ihr seid sozusagen Nachbarn... Sie können ihn aber auch jederzeit fragen, er fast alle Bestände im Kopf, nicht wahr, Johannes?“
„...fast...“ antwortete der ohne aufzusehen.
Die Neue trat hinter ihn, „Vielen Dank“, sagte sie, er drehte sich um und sie lächelte ihm ins Gesicht. Er erwiderte ihren Händedruck, warm und weich und fest, und fragte schlicht: „Wofür?“
Die Sonne schien über die Flurfliesen. „Ist er immer so spröde?“ fragte sie die Chefin nach einigen Metern.
„Spröde würd ich nicht sagen, eher zurückhaltend. Es dauert etwas, bis man mit ihm warm wird. Johannes, ich meine, Herr Eichstätt betreut die Bibliothek und die Reparatur nur Montags oder nach Anforderung.“ erklärte Dr. Rolland weiter.
„Hat Herr Eichstätt nur eine halbe Stelle?“ Die Neue blickte erstaunt.
„Nein, nein, er macht das nebenbei. In Personalunion sozusagen. Herr Eichstätt ist in seinem eigentlichen Beruf hier im Institut als Literaturwissenschaftler tätig.“
„So? Davon hat er gar nichts gesagt...“ sie nickte anerkennend.
„Nun, er macht nicht viel Aufhebens, von nichts: er redet nicht viel sondern tut.“, erläuterte die Chefin, „Man muß sich an seine Art erst einmal gewöhnen, manchmal ist er recht rauhbeinig, aber eigentlich kann man alles von ihm haben, sogar geistreiche Unterhaltung... manchmal, öfters sogar, Blödeleien mit Niveau. Er ist ein bißchen understatement und, als Frau muß ich sagen, äußerst liebenswert! Halten Sie ihn sich warm!“ Sie zwinkerte der Neuen verstehend zu. „Wir wissen doch, wie wir mit dem Schwachen Geschlecht umzugehen haben...“
Dr. von Knoop nickte, ‘...Stille Wasser...’ dachte sie. Und in einem stillen Augenblick notierte sie in ihr Skizzenbuch, das sie immer in einer Umhängetasche mit sich führte:
‘Ich sehe Dich an • Und weiß • Du brauchst nur einen Blick • Der Dich ermuntert • Dich zu öffnen • Leis Dich anzuvertrauen, • Herauszutreten • Ich zögerte und bei Dir fällt leise • Die kaum geöffnete Tür ins Schloß...’
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