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Reingard Stein
Jakobspilger Querfeldein
Wanderungen auf dem Camino Frances und auf der Via Podiensis

Taschenbuch März 2013
206 Seiten | ca. 14,8 x 21,0 cm
ISBN: 978-3-86468-394-7
ISBN (E-Book): 978-3-86468-575-0



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Ein Ehepaar, Ende Fünfzig, entdeckt seine Leidenschaft für das Pilgern- wobei „Leidenschaft“ mitunter durchaus wörtlich genommen werden darf. Das Traumziel ist Santiago de Compostela. Aber das eigentlich überraschende ist der Weg dorthin, bzw. überhaupt das Pilgern auf den Jakobswegen. Und wir, getrieben von Faszination und Neugierde, machten uns auf den Weg, die Natur, Geschichte, andere Menschen, Religion und Einfachheit zu erleben.
DIE FASZINATION DER JAKOBSWEGE

Wir haben gelernt, dass weniger mehr ist! Wochenlang nur mit dem Inhalt eines Rucksackes, den man selber trägt, auszukommen, das erfordert Erfahrung. Wir haben gelernt, was wir alles nicht brauchen, und dass das Leben trotzdem oder gerade deshalb spannend ist. Wir haben gelernt, auf andere Menschen zuzugehen, das hat unser Leben reicher und bunter gemacht. Wir haben die Sehnsucht kennengelernt, die Sehnsucht nach einem Ziel. Mit einem Satz: Wir sind der Faszination der Jakobswege erlegen.
Diese Wege firmieren zwar unter „Fernwanderwege“ und doch sind sie sehr viel mehr. Wir sind der Meinung, diese Wege kann man gar nicht einfach nur so gehen. Der Wanderer wird mit den unterschiedlichsten Begebenheiten konfrontiert, ob er will oder nicht. Und man wird sich auf das Abenteuer „Überraschung und Unsicherheit“ einlassen müssen. Die Faszination wird nicht nur in dem religiösen Aspekt liegen, obwohl die Suche nach sich selbst und nach der göttlichen Ordnung sicher von großer Bedeutung ist. Die Herausforderung an Körper und Geist, schwierige Situationen zu meistern gehört dazu. Die Natur erleben, das ist einfach nur wunderbar. Ebenfalls spannend sind die internationalen Begegnungen mit anderen Menschen. Und falls es sie gegeben haben sollte, die Berührungsängste mit dem christlichen Glauben oder mit nicht kalkulierbaren Situationen, diese Ängste verlieren sich mit der Zeit und werden zu Erfahrungen. Letztendlich geht man gestärkt daraus hervor. Es ist die Summe dieser Aspekte, die die Faszination dieser Wege ausmacht.
Europa ist wie ein aufgeschlagenes Geschichtsbuch. Wo man auch hinkommt und wenn man es möchte, wird man mit vielen historischen Ereignissen und Legenden konfrontiert. So unzählige Fakten kann man in der Regel unterwegs gar nicht verarbeiten. Und die nötigen Informationen vor Ort zu erhalten, das kann schon an der Sprachbarriere scheitern. Unsere Neugierde mussten wir des-halb ein wenig zügeln und wir haben die entsprechende Literatur im Nachhinein besorgt und somit unsere Wanderungen nachbereitet.
Seit 2007 sind Gerd und ich auf den klassischen spanischen und französischen Jakobswegen, dem Camino Frances und der Via Podiensis unterwegs gewesen und wir können nicht aufhören. So geht es im Übrigen vielen unserer Pilgerfreunde, der Camino de Santiago lässt uns nicht los. Mit dem Thema Jakobspilgern hatten wir uns bereits seit längerer Zeit befasst, aber erst als wir uns bereits auf dem Weg in Spanien befanden, wurde uns so richtig klar, dass es ein ganzes Wegegeflecht innerhalb Europas ist, was den Jakobsweg ausmacht und dass wir zumindest den klassischen Pilgerweg in Frankreich kennenlernen möchten. Und so kam es zu der etwas ungewöhnlichen Reihenfolge innerhalb der Wanderwege.
Inzwischen genügt uns das auch nicht mehr ganz und deshalb werden wir uns im April 2012 wieder auf den Weg machen. Diesmal beginnen wir unseren Pilgerweg, wie die Pilger in früheren Zeiten, von zu Hause aus. Wir planen für die Bewältigung dieser Strecke ungefähr ein halbes Jahr ein. Es herrscht also Aufbruchsstimmung bei uns, in dieser unvergleichlichen Mischung aus Vorbereitung, Planung, Anspannung und Bedenken. Nicht zu vergessen ist, dass wir auch unsere Körper für diese Anstrengungen fit machen müssen und so treiben wir Ausdauersport und laufen an den Wochenenden so manchen Kilometer in den Wanderschuhen.
In der Hamburger Pilgerkirche „St. Jacobi“ haben wir uns im Rahmen der jährlich stattfindenden Pilgermesse den Pilgersegen erteilen lassen und hoffen sehr auf göttliche Unterstützung für das Gelingen unseres Vorhabens.

Reingard und Gerd Stein

...

11. Mai 2008 Villar de Mazarife – Astorga

Wir haben heute eine 31-km-Etappe vor uns. Es ist kühl, bewölkt und besonders dann am Nachmittag sonnig. Auf dem veralgten Grund einer Riesenpfütze sehen wir die Spuren eines Storches, der da auf der Nahrungssuche durchgestakt ist. Diese Gegend ist hier zunächst noch flach, mit sehr vielen Feuchtgebieten und Bächen und Kanälen. Das erklärt vermutlich auch die sehr große Storchenpopulation und deren Lieblingsspeise, Frösche!
Der Ort Hospital de Órbigo ist bekannt für seine Ritterspiele, die sich auf ein Ereignis im Heiligen Jahr 1434 beziehen. Ein Adliger wollte sich aus dem Liebeschwur einer unglücklichen Liebe und der deshalb angelegten Halsfessel befreien und forderte alle ankommenden Ritter zum Lanzenstechen bei der Brücke heraus. Die Zeit der großen Ritterturniere war längst vorüber und deshalb folgten viele Ritter diesem Ruf, um ihre Kunst und ihren Mut zu beweisen. Ritter Suero de Quiñones und seine Kämpen besiegten die ankommenden Ritter nach den festgelegten Regeln. Die Halsfessel konnte abgelegt werden, als das Symbol der emotionalen Gefangenschaft des Ritters in der Liebe zu einer hochrangigen Dame. Dieses Liebespfand befindet sich heutzutage in Santiago de Compostela. Was sagt uns diese Begebenheit nun heute?? Der Ritter hat das Nützliche mit dem Angenehmen verbunden und man kann nicht vorsichtig genug mit seinen Schwüren umgehen!!! Als wir diese Puente de Órbigo überschreiten, wird gerade eine bunte mittelalterliche Zeltstadt aufgebaut.
Wir halten uns nicht länger in diesem Ort auf, haben wir ja noch ziemlich viel Strecke vor uns. Deshalb wählen wir die Route an der stillgelegten N120 entlang. Asphalt zwar, aber Gerd und ich gehen streckenweise ganz allein. Bei San Justo de la Vega treffen die Streckenalternativen wieder zusammen. Von dem Steinkreuz Santo Toribio aus hat man einen weiten Blick auf Astorga und die schneebedeckten Montes de León. Ich kann mir gut die mittelalterlichen Pilger vorstellen, wenn sie von hier aus die hohe Stadtmauer und die Kathedrale erblickten, wie beeindruckt müssen diese Menschen gewesen sein, angesichts dieser Erhabenheit. Und nun wieder zurück zu uns, denn wir werden wieder unsere „Berggängigkeit“ unter Beweis stellen müssen. Auch wenn wir zwischen Burgos und León gelegentlich über die Anhöhen gestöhnt hatten, das ist gar nichts im Vergleich zu dem, was uns bald erwartet. Es wird uns klar, dass es nicht mehr lange dauert und wir den Aufstieg auf 1532 Höhenmeter vor uns haben. Etwas graut mir schon davor.
Jetzt aber, Astorga, eine Stadt ganz nach meinem Geschmack. Es wird gerade die römische Vergangenheit ausgebuddelt. Einige Straßen sind noch aufgerissen und für die Passanten nicht zugänglich. Gelegentlich kann man schon die Grundmauern und Fundamente verschiedener Gebäude und Brunnen besichtigen. Ein Mosaikfußboden ist freigelegt und mit einer Glasplatte vor Witterungs- und Umwelteinflüssen geschützt
Die Stadt Astorga ist auch berühmt für ihre Schokoladenherstellung. Es ist zwar Pfingstsonntag, aber die Schokoladengeschäfte haben geöffnet und wir naschen von den Köstlichkeiten, ohne schlechtes Gewissen, soweit es unsere Mägen gestatten.
Wir haben uns daran gewöhnt, dass es am Camino relativ kleine Städtchen mit sehr bedeutenden Bauwerken gibt. Wie hier in Astorga, einer Stadt mit ca. 12.000 Einwohnern. Antonio Gaudí entwarf den Bischofspalast, der seine ganz typische Handschrift trägt. Dieser Palacio Episcopal wurde nie von einem Bischof genutzt und heutzutage befindet sich darin das Pilgermuseum. Gleich daneben, die Kathedrale „Santa María“. Ein imposantes Bauwerk, das seine Bedeutung für den Jakobsweg hervorhebt. Von der Kathedrale aus hatte es eine Prozession gegeben, die wir nicht mitbekommen haben, weil wir nicht rechtzeitig vor Ort waren.
Die Albergue „Siervas de María“ ist sehr gepflegt. Auf Nachfrage bekommen wir zusätzliche Wolldecken, denn die Nacht wird wieder sehr frisch werden. In dem Schuhregal in unserem Stockwerk entdecken wir Wanderschuhe in Kleinkindgrößen. Diese Schuhe gehören den beiden Kindern einer französischen Familie, die mit einem Esel unterwegs ist. Wenn die Kinder müde sind, können sie auf dem Esel reiten. Wir haben diese Familie unterwegs auf dem Weg nach Astorga schon gesehen, es ist aber durchweg schwierig, Tiere bei den Herbergen unterzubringen. Die Bauern der Umgebung schreien auch nicht gerade Hurra, wenn jemand mit seinem Haustier eine Weide sucht, dafür haben sie viel zu viel Angst vor Seuchen und Krankheiten, die durch die fremden Tiere eingeschleppt werden können.

12. Mai 2008 Astorga – Foncebadón

Für unsere schwierige Tour heute genau das richtige Wetter, sonnig, leicht bewölkt und ein wenig Wind. Ein kleines Desayuno in Astorga und auf geht’s. Die Landschaft wird endlich wieder interessanter. Was mich aber nach wie vor stört ist die „Karawane der Pilger“. Das wird sich ja wohl kaum abstellen lassen, haben wir doch alle dasselbe Ziel. Trotzdem fühle ich mich jetzt nach über einer Woche auf dem Camino so etwas wie „angekommen“. Die erste Zeit über stellten wir doch sehr oft Vergleiche zwischen 2007 und heute an. Aber dies ist ein ganz neuer Abschnitt, den kann man nicht mit dem Vorjahr vergleichen, das würde der Sache auch nicht gerecht werden und schadet nur unserer Wahrnehmung.
Der Aufstieg ist zunächst sanft, durch Hügelland mit weiß und gelb blühendem Ginster, in der Landschaft Maragatería. Die Ortschaften zwischen Burgos und Leon waren teilweise schon sehr klein, aber diese Gegend ist außerordentlich dünn besiedelt. Die Anzahl der Einwohner ist meistens zweistellig, im mittleren Bereich. Hinter El Ganso wird es waldig, Laub- und Nadelwälder. Gerd und ich finden, dass insbesondere die Eichen keinen gesunden Eindruck machen, die scheinen mit irgendwelchen Baumparasiten Probleme zu haben. Die Baumrinde ist rissig und knotig. Wir sind keine Experten für Forstwirtschaft, aber gefallen will uns dieser Wald nicht.
In Rabanal del Camino wollen wir uns entscheiden, ob wir den Aufstieg bis nach Foncebadón heute schon machen, oder erst mal eine Unterkunft suchen. In der Bar treffen wir auf Leonhard, der hier ein Quartier gefunden hat. Er erzählt uns von dem spanischen Pilger, bei dem er eine Thrombose diagnostizierte und er für dessen sofortigen Transport ins Krankenhaus sorgte. An solchen Ereignissen wird immer wieder deutlich, dass das durchaus kein Spaziergang hier am Camino ist. Wir fühlen uns fit und nach der ausgiebigen Tortillapause geht es los. Die Hänge sind übersät mit Ginster, Heidekraut und Lavendel und durch die wohlige Wärme und den Wind kriegt man immer mal wieder eine „Nase voll“ der würzigen Düfte mit. Die Montes sehen aus der Entfernung sehr hoch und unnahbar aus. Jetzt entpuppen sie sich als „Scheinriesen“. Je näher man kommt, desto weniger haben sie an Schrecken. Natürlich ist der Aufstieg anstrengend, aber längst nicht in dem Maße, wie wir es erwartet hatten. Unterwegs treffen wir immer wieder auf gemauerte Bassins. Vermutlich Viehtränken. Wir können aber weit und breit kein Viehzeug ausmachen.
Foncebadón am Monte Irago war in alten Zeiten mal ein bedeutender Ort, der unter königlichem Schutz stand, dann wurde durch die Landflucht im 20. Jahrhundert dieses Dorf zum Geisterdorf. Heute beträgt die Einwohnerzahl unter zehn Personen. Wir sind sehr fasziniert von dem morbiden Charme und an dem herabgestürzten Querbalken eines Hauses können wir die Jahreszahl 1841 ablesen. Dieser von den Bewohnern verlassene Ort hat wieder so eine eigenartige Ausstrahlung und ist gleichzeitig ein Hoffnungsträger, denn durch die wieder anspringende Pilgerbewegung zieht ganz offensichtlich neues Leben hier ein. So gibt es eine Bar und ein Gasthaus und die Kirche wird auch renoviert. Große Enttäuschung, alle Quartiere sind besetzt. Die Pilgerkarawane hat sich bis hier oben raufgeschoben, die nächste Herberge ist 10 km weit entfernt und ob dort Platz ist, ist gleichfalls ungewiss. Vom Hospitalero werden wir mit fünf weiteren Pilgern, unter ihnen auch Steffi, auf einem Matratzenlager in der Kirche untergebracht. Als er die Kirche aufschließt, schlägt uns eine eisig-feuchte Luft entgegen. In dieser Höhe ist es sowieso nicht sehr warm und mir stecken noch die eisige Nacht von Villar de Mazarife und mein Magen-Darmleiden in den Knochen. Wenigstens können wir uns jeder zwei Matratzen übereinander auf den Steinfußboden legen. Ein Herdfeuer bullert im Vorraum der Albergue und dort wärme ich mich gründlich und auf Vorrat auf, denn die Nacht wird eisig werden.
Wie tief die Pilgerbewegung im Bewusstsein der spanischen Bevölkerung verwurzelt ist, wird durch Steffis Geschichte deutlich. Eine alte Dame hat ihr einen Fünfeuroschein gegeben, mit der Bitte, diesen Geldschein dem Apostel zu spenden. Steffi hat sie nach ihrem Namen gefragt, ich glaube der Name war Katarina. Diesen Namen hat Steffi dann auf den Geldschein geschrieben und damit dieser Schein nicht verloren geht, ihn in ihr Tagebuch eingeheftet.
Bis zum Abendessen sitzen wir noch in größerer Runde vor der Bar und geben uns ganz ordentlich die Kante. Gerd holt die Dosenbiere gleich waschschüsselweise aus der Bar. Das Essen wird aus Platzgründen in zwei Schichten serviert, wir gehören zur zweiten und letzten Schicht für diesen Tag. Wir haben sehr viel Spaß, denn bis das Essen serviert wird, zieht es sich sehr lange hin. Als Serviette erhält jeder zwei Blatt Toilettenpapier, direkt von der Rolle.
Zum Schlafen ziehen wir uns alles an, was wärmt. Trotzdem frieren wir, denn die Nacht ist bitter kalt und die Feuchtigkeit kriecht auch unter unsere Anoraks.

13. Mai 2008 Foncebadón - Molinaseca

Es hatte die Nacht über geregnet, nee, geschüttet, aber als wir losmarschieren ist es wenigstens trocken. Die Pilger, die vor uns laufen, werden vom dichten Nebel verschluckt. Wir können uns trotzdem gut an den Wegmarkierungen orientieren. Gestern haben wir diesen Aufstieg im Sonnenschein in bunter, leuchtender und heiterer Atmosphäre erlebt. Die Landschaft hat sich ja nicht verändert, heute dagegen, bewirkt der dichte Nebel eine ganz eigenartige, düstere und fast mystische Stimmung, als unversehens das „Cruz de Ferro“ vor uns aus dem Nebel auftaucht. Auf dem Monte Irago ragt aus einem großen Steinhaufen ein langer Eichenstamm auf, auf dem ein kleines Eisenkreuz befestigt ist. Dieser Ort hat eine sehr lange Tradition, die möglicherweise schon von den Kelten oder Römern ins Christentum übernommen wurde. Die Pilger bringen sich aus ihrer Heimat einen Stein mit, der bei dem Cruz de Ferro abgelegt wird. Dieser Stein versinnbildlicht auch das symbolische Ablegen einer Seelenlast und ist gleichzeitig die Bitte um Vergebung der Sünden. Es beten dort einige Pilger am Kreuz und an der kleinen Kapelle und wir sind froh, dass wir diesen geheimnisvollen Ort am frühen Morgen im dichten Nebel erleben dürfen, denn es sind nur wenige Pilger hier und die Auto- und Bustouristen fehlen zum Glück vollständig. Wir haben uns von zu Hause kleine Steine mitgebracht, die wir mit Bedacht ausgewählt hatten. Meine Familie stammt väterlicherseits von der Insel Rügen und dort, bei Mukran auf den Flintsteinfeldern sammelten wir diese Steine. Es handelt sich um Feuersteine, bei denen die Kreideeinschlüsse im Laufe einer sehr langen Zeit herausgewaschen wurden, so dass röhrenartige Löcher entstanden. Diese Steine nennt man an der Ostseeküste Hühnergötter, weil sie in Viehställen zur Abwehr von bösen Geistern aufgehängt wurden. Böser, böser Aberglaube! Auf dem Steinhaufen werden nicht nur mitgebrachte Steine abgelegt, einige Pilger legen auch andere Gegenstände, die von großer Bedeutung für sie persönlich sind, dort ab, was von der Verwaltung nicht gern gesehen wird. Wir fotografieren das Cruz de Ferro im Nebel. Von den atemberaubenden Ausblicken bekommen wir nichts mit, aber ich finde, wir haben einen ganz besonderen, tiefen Eindruck erhalten.
Das Gelände geht jetzt noch ein wenig auf und ab und sogar die Sonne kommt noch mal ganz kurz durch. Erst ist es uns zu warm und dann, nachdem sich die Sonne wieder verkrümelt hat, zu kalt. Der Abstieg nach Ponferrada beträgt 800 Höhenmeter. Er ist sehr steil und zu allem Überfluss setzt der Regen wieder ein und es wird glitschig auf den nackten Felsen. Ohne unsere Wanderstöcke hätten wir den Weg gar nicht gut bewältigen können. Gerd stellt fest: „Ein falscher Tritt und unsere Wanderung ist zu Ende.“
In El Acebo machen wir eine Pause und beschließen, heute nicht weiter als bis nach Molinaseca zu gehen, zumal Gerd jetzt ein Durchfallproblem hat. Hier in El Acebo verunglückte ein deutscher Pilger mit seinem Fahrrad tödlich. Ein Denkmal weist auf die Gefahren des steilen und kurvigen Geländes hin. Uns wird der felsige Pfad zu mühsam, der Regen spült uns fast hinweg. Wir probieren, ob es sinnvoller ist, auf der Autostraße zu gehen. Das ist keine wirkliche Alternative und wir kehren auf unseren Stolperpfad zurück. In der Höhe von Riego de Ambros sehen wir immer wieder große weißblühende Wildrosen, die ganze Hänge bedecken und Kastanienhaine mit uralten Bäumen. Das sieht alles echt toll aus, wir müssen uns aber meistens auf den Abstieg und den Zustand des schlechten Weges konzentrieren. Im strömenden Regen kommen wir in Molinaseca an und wir haben sehr viel mehr Zeit für den Abstieg gebraucht, als im Wanderführer angegeben ist.
Nach dieser „Eisnacht“ in der Kirche von Foncebadón haben wir nur noch das Bedürfnis nach einem warmen Bett und einer eigenen Dusche. Deshalb gehen wir gar nicht erst zur Herberge, sondern checken gleich im Hostal an der alten Pilgerbrücke ein. Wie wir hinterher erfahren, war das genau die richtige Maßnahme, denn auch Molinaseca ist „dicht“. Irgendwie haben wir es wohl auch geahnt, denn beim Abstieg aus den Bergen wurden wir von zahlreichen Pilgerscharen überholt. Wir haben uns trotzdem nicht abgehetzt, denn Sicherheit geht vor.
Beim Rundgang durch den Ort treffen wir auch Steffi wieder, die einige Zeit mit der Suche nach einer Unterkunft verbrachte. Steffi hat ein amerikanisches Paar im Schlepptau und wir beschließen, gemeinsam in der Bar einen Brandy zu nehmen. Es entsteht eine ganz merkwürdige Situation, als der 61-jährige Richard erzählt, dass er Offizier im Irak-Krieg war. Betretenes Schweigen auf deutscher Seite. Richard ist sichtlich stolz auf seinen Einsatz und hält ihn nach wie vor für notwendig und ist nun seinerseits irritiert, über unser Schweigen. Er sagt, er habe niemanden erschossen. Gerd sagt ihm: „du vielleicht nicht, aber deine Kameraden“. Das bestätigt er dann. Er zeigt uns noch seine Kette mit den Erkennungsmarken, „seine Identität, die ihm keiner nehmen könne“, wie er uns sagt. Wir sind etwas peinlich berührt und froh, als das ganze Gebamsel wieder unter seinem Hemd verschwindet.
Am Abend holen wir uns dann in der Albergue noch den Stempel für unseren Pilgerausweis, denn im Hostal will man uns den nicht abstempeln


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