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Klaus von Schirach
Fünf Drehbücher und ein Theaterstück


Festeinband Juli 2019
660 Seiten | ca. 14,0 x 22,0 cm
ISBN: 978-3-96014-573-8


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€ 19.90 *
Der Autor veröffentlcht als "Lesestücke", in einem literarischen Format, das im 19.Jh. verbreitet war, und dem sich auch Schiller bediente, folgende Drehbücher:

"Schiller"
Sein bewegtes Leben von der Flucht aus der Stuttgarter "Karls-Schule" bis zu seinem Tode. Im Mittelpunkt steht seine "Menage á Trois" mit den Schwestern Lengefeld, und sein "Durchbruch" als deutscher Dramtiker, der viel populärer als sein Freund Goethe war. Schillers früher Tod in Jena wird mystisch überhöht inszeniert.

"Lou - Ein jeder Engel ist schrecklich"
Das aufregende Leben der jungen Lou Andreas Salomé aus Petersburg, Freundin von Rilke und Nietzsche, von der "Flucht" aus Petersburg in die Schweiz. Eine in vielerlei Hinsicht aussergewöhliche, mit grossen Gaben ausgestattete Frau, von Männern umschwärmt, "Männerleichen" Abgewieser säumten ihren Lebensweg, bis sie in Göttingen als Psychotherapeutin verstarb.

"Da Ponte. Mozarts Librettist"
Das Leben Da Pontes zwischen zwei Ausweisungen, aus seiner Heimatstadt Venedig, und aus Wien. In einer kurzen Zeitspanne schrieb der durchtriebene, und begabte Filou die Libretti der drei "Da Ponte" - Opern: "Die Hochzeit des Figaro", "Don Giovanni" und "Cosi fan Tutte".
Da Ponte mit seinen Frauengeschichte hatte eine ähnliche Lebenslinie wie sein Freund Casanova. Die Zusammenarbeit mit Mozart wird szenisch dargestellt.

"Sollst mir ewig Suleika heissen"
Die bewegende Liebesgeschichte Goethes mit der aufgeweckten, hochbegabten jungen Marianne v. Willemer, deren Gedichte Goethe im "Westöstlichen Divan", ohne sie als Autorin zu benennen, veröffentlichte (seine "Suleika"). In einer Goethe - Feier wird spektakulär Mariannes Autorenschaft in Augenhöhe mit dem grossen Dichter, geoutet.

"Mozart auf der Reise nach Prag"
Mörikes berühmte Novelle im Drehbuchformat, mit vielen Erweiterungen, die der Bildersprache des Films geschuldet sind.

"Nadeschda"
Ein Theaterstück über Tschaikowsky und seine Gönnerin Frau von Meck. trotz grosser Nähe, waren sich beide (absprachegmäss) nie begnnet. Es liegen aber weit über 1000 Briefe Tschaikowskys vor, aus denen die seltsame Beziehung rekonsruiert wird. Im Textbuch wird ein Motiv der Hysterikerin, die rätselhafterweise, die innige, virtuelle Beziehung abrupt und verletzend abbrach, angeboten, die schlüssig erscheint.
Titelvorspann: Fiasko

3. 1782. Mannheim, Innenstadt
AUSSEN / TAG

Starker Regen. Schiller und Streicher eilen durch die Innenstadt. Sie haben sich verspätet und suchen eilig das Haus des Regisseurs Meyer. Er hat schon Schillers „Räuber“ inszeniert und nun im Auftrag des Intendanten des Hoftheaters Schiller eingeladen, um vor einer illustren Versammlung von Theaterleuten – darunter der berühmte Schauspieler Iffland, der schon den Karl Moor gegeben hat – aus seinem neuesten Stück, „Die Verschwörung des Fiesco zu Genua“, zu lesen.
Schiller schützt das handgeschriebene Manuskript wie ein Kleinod vor dem Regen, während Streicher die Hausnummer sucht. Schließlich hasten beide die Eingangstreppe hoch.




4. Salon im HAUS des Regisseurs MEYER
INNEN / TAG

Im Meyer’schen Salon sind 15 Personen versammelt, die in einem lockeren Kreis um einen Tisch Platz genommen haben und sich bei Schillers Eintreffen erheben. Freundliche, erwartungsvolle Aufnahme, Schiller und Streicher werden von Meyer und einigen neben ihm stehenden Schauspielern, darunter Iffland, aufmunternd begrüßt.
Schiller geht direkt zu einem Lesepult, knallt das Manuskript auf das Pult und verneigt sich kurz. Meyer ist in die Mitte des Raumes gegangen, stellt sich neben Schiller. Die Gespräche verstummen.

MEYER
Meine Damen und Herren: Schiller! Der Autor der Räuber liest uns aus seinem neuesten Stück. Wie ist der genaue Titel?

Applaus, Schiller macht die Andeutung einer Verbeugung.

Schiller, mit seinem starken schwäbischen Akzent („ist“ = „isch“ usw.), spricht ab hier um Hochdeutsch bemüht.

SCHILLER
„Die Verschwörung des Fiesco zu Genua“

MEYER
Fangen wir gleich an? Brauchen Sie eine Erfrischung? Darf ich Ihnen etwas reichen lassen?

SCHILLER
Ich möchte gleich lesen. Eine kurze Einführung zuvor zum Historischen ...

MEYER
(ihm ins Wort fallend) Nicht nötig, Schiller, wir haben uns alle ein wenig kundig gemacht, und das Stück allein zählt. Wir sind ja alle Theaterleute ...

SCHILLER
... Ich hab mir bei der Historie einige Freiheiten erlaubt, die wahre Katastrophe des Komplotts, worin Fiesco am Ende durch einen unglücklichen Zufall endet, musste durchaus verändert werden, denn, meine Damen und Herren, die Natur des Dramas duldet kein Ungefähr ... und auch keine Vorsehung.
Die erste Szene: Saal in Fiescos Patrizierhaus, man hört in der Ferne Tanzmusik von einem Ball. Leonore und Arabella, Leonores Kammermädchen.
Introduktionsszene.

Schiller liest den 1. Auftritt aus dem 1. Akt. In völliger Fehleinschätzung seines schauspielerischen Talents – er hat schon einmal als Darsteller von Goethes Clavigo Schiffbruch erlitten, aber nichts daraus gelernt, sondern hält sich nach wie vor für hochbegabt – liest er nicht ab, gerät vielmehr ins Deklamieren. Dabei betont er unbedeutende Passagen und Wörter, die nur dem Handlungsfortschritt dienen oder Szenenanweisungen sind, ebenso nachdrücklich wie Gedankenreiches, und all dies in einem insgesamt überzogenen und hochtrabenden Ton, der im schwäbischen Idiom absolut unangemessen klingt und die hochdramatische Disposition stört. Begleitet wird dieser Vortrag von einer übertriebenen Gestik, die überhaupt nicht zum Text passt.

Schiller
... Leonore maskiert. Rosa und Arabella fliehen zerstört auf die Bühne. Leonore reißt die Maske ab: Nichts mehr. Kein Wort mehr. Es ist am Tag …

Schiller, nach wie vor um Hochdeutsch bemüht, aber mit starkem schwäbischem Akzent.

>> Einfügen: Szene 1. Akt, 1. Auftritt bis „... von seinem Tyrannen erlösen“ <<

Wir sehen bei zurückgefahrenem Ton nur noch Schillers Deklamation und werden durch eine Überblendung informiert, dass Schiller in dieser Weise fortfährt. Als der Ton wieder aufgeblendet wird, ist eine Stunde vergangen.

SCHILLER
… weg mit ihm. Verdopple die Gefahr, spricht der Held, nicht die Helfer. Ich habe schon längst ein Etwas in meiner Brust gefühlt, das sich von nichts wollte sättigen lassen. – Was es war, weiß ich jetzt plötzlich ...
Ich hab’ einen Tyrannen! Der Vorhang fällt.

Meyer, der durch die Unruhe im Publikum (Hüsteln und Geflüster der Theaterleute untereinander) gespürt hat, dass Schiller nicht ankommt, springt auf, um ihn vorsorglich daran zu hindern, in dieser Form weiterzumachen.

MEYER
Schiller, danke. Wenn’s recht ist, machen wir da eine Pause und springen danach gleich zum Schluss.

Schiller geht auf den im hinteren Teil des Raumes sitzenden Streicher zu. Die Zuhörerschaft lässt deutlich erkennen, dass das Werk nicht angekommen ist: kein Applaus, schweigende Betretenheit mit Kopfschütteln.

SCHILLER
(der Streicher in der letzten Reihe gefunden hat) Hat’s g’falle?
Was meinscht du?

STREICHER
Du machscht wieder viel zu viel. Mensch, lies doch einfach den Text, bring nicht den Schauspieler, der du net bischt!

SCHILLER
Mein Gott, des isch ein Drama! Sind doch alls Theaterleut, grad bei dene muascht deklamiere, damit des akommt!

Man sieht Iffland in der Unterhaltung mit einem Schauspielerkollegen. Bei Annäherung der Kamera erfährt man, dass es nicht um das Schiller-Stück geht.

SCHAUSPIELER
Zum Bolzenschießen im Garten suchen wir noch einen Mann, machst du mit?

IFFLAND
Im Prinzip wär ich dabei. Es hat zwar mit dem Regnen aufgehört, aber der Boden ist mir zu nass, ein andermal.

Zwei andere Teilnehmer in angeregter Unterhaltung.

TEILNEHMER 1
(zu einem Nebenstehenden) Zum Ausreiten wär mir der Gaul zu dem Preis schon recht, aber wenn man ihn einspannt – verheerend, verheerend …

TEILNEHMER 2
(zu einem Nebenstehenden) … Riesling heißt die neue Traube, spritzig sag ich, a bissle wie Sekt, wächst gut in unserer Gegend …

Schiller, der nach wie vor im Hintergrund bei Streicher steht, wird von keinem der Teilnehmer beachtet oder gar angesprochen. Streicher beobachtet nervös aus der Ferne die gut gelaunten, miteinander plaudernden Gäste.

SCHILLER
Die reden über das Stück! Wo isch der Meyer?

STREICHER
Lass den Meyer jetzt, der sagt gar nix und schaut vielsagend aus’m Fenster.

Meyer geht nun in die Mitte des Raumes, um die Pause zu beenden.

MEYER
Herrschaften, wir machen weiter. Verehrtester, wenn ich Sie bitten darf fortzufahren.

SCHILLER
(nimmt noch rasch ein Glas Wein vom Tablett, trinkt es in einem Zuge aus, dann zu Streicher) Jetzt leg ich noch eins drauf, Andreas, ich muss die richtig packen.

An seinem Lesepult angekommen, beginnt er den 2. Akt zu lesen.

Schiller
Auftritt Leonore. Arabella. Arabella: Nein sag ich. Sie sahen falsch. Die Eifersucht ... (wird von Meyer unterbrochen)

MEYER
Bitte gleich zum Schluss, wir wollten doch springen, den Schluss bitte …

SCHILLER
(genervt) Dann fehlt die große Szene Fiesco-Verrina und der große Fiesco-Monolog ...

MEYER
Das können wir uns jetzt schon gut vorstellen. Wir möchten gleich den Schluss hören. Also bitte!

Schiller liest den Schluss des „Fiesco“, sich noch mehr ins Zeug legend.

SCHILLER
Verrina mit fürchterlichem Hohn. Nun, wenn der Purpur fällt, muss auch der Herzog nach. Er stürzt ihn ins Meer. Fiesco ruft aus den Wellen: Hilf, Genua! Hilf! Deinem Herzog! Sinkt nieder. Calcagno schreit: Fiesco! Fiesco! Andreas ist zurück, halb Genua springt dem Andreas zu. Wo ist Fiesco? Verrina mit festem Ton. Ertrunken! Zenturione: Antwortet die Hölle oder das Tollhaus? Verrina: Ertränkt, wenn das hübscher lautet – Ich geh zum Andreas. Alle bleiben in starren Gruppen stehen.
Der Vorhang fällt.

Nach dem übertrieben pathetisch deklamierten Schluss schaut Schiller triumphierend in den Kreis der Zuhörer, empfängt aber nur betretene Stille, die er zunächst als Ergriffenheitsstille deutet. Als sich aber Meyer erhebt und ihm wortlos die Hand gibt, wird ihm klar, dass er als Verlierer vom Platz geht.
Er wirft das Manuskript trotzig auf das Pult, die Versammlung löst sich mit gegenseitigen Verabschiedungen rasch auf, Schiller verlässt langsam den Raum. Ein kompletter Durchfall. Streicher, der das Manuskript vom Pult holt, wird von Meyer am Arm festgehalten.

MEYER
Streicher, Fiesco wie Fiasko! (ernstlich besorgt, nicht rhetorisch) Bitte eine ehrliche Antwort, ich möchte mich nicht beim Intendanten blamieren. Ich bin Schiller zugetan. Ich habe, wie Sie wissen, seine „Räuber“ in Szene gesetzt ... (beschwörend, ihm in die Augen schauend) Sind Sie sicher, dass das der Schiller ist, der die „Räuber“ geschrieben hat???

STREICHER
Ich versteh die Frage nicht.

MEYER
Weil der „Fiesco“ das Allerschlechteste ist, was ich in meinem Leben gehört habe, und weil es unmöglich ist, dass derselbe Schiller, der die „Räuber“ geschrieben hat, etwas so Gemeines und Elendes ... (man merkt ihm den Schmerz an) schreiben konnte!!!

STREICHER
(indem er ihm das Manuskript in die Hand drückt, pathetisch, aber auch verbittert-aggressiv) Da, lesen Sie, lesen Sie! Ich sage Ihnen, ein Meisterwerk, noch vielmals besser als die Räuber.

Die beiden sind mittlerweile allein im Raum. Streicher wendet sich ebenfalls zum Gehen, dreht sich an der Tür nochmals um.

STREICHER
(beschwörend) Lesen Sie! Sie werden Ihre Meinung ändern.
Die „Räuber“ werden vergehen, das wird bleiben.

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