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Karin Bottke
Denk ich an Weihnachten im April


Taschenbuch Oktober 2010
242 Seiten | ca. 14,8 x 21,0 cm
ISBN: 978-3-942150-74-3


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Ja, so war es wirklich gewesen.

Wir haben im April Weihnachtsgeschichten niedergeschrieben. Für diese dritte Anthologie unserer Schreibwerkstatt. Glücklicherweise hatten wir einen sehr langen, sehr strengen Winter, da fiel uns dieses Thema nicht gar so schwer. Aber statt \"Ein Frohes Osterfest\" zu wünschen, ist uns leider im April hin und wieder ein \"Gesegnetes Weihnachtsfest\" herausgerutscht. Sollten wir es ausgerechnet Dir oder Ihnen gewünscht haben, so war es vielleicht gut so. Denn, solche Glückwünsche muss man früh genug aussprechen. Wie oft passiert es uns - es weihnachtet, aber all die Fröhliche- Weihnacht- Karten liegen noch fein säuberlich im 10er Pack- wir hatten einfach keine Zeit...

Hätten wir sie nur an Ostern schon geschrieben...
Wenn die Zeit stillsteht (Eva Prüße)

Das Haus stand am Ende der Straße. Es war kaum beleuchtet. Schneematsch hatte die wenigen, ausgetretenen Stufen rutschig gemacht. Der Mann fand keine Klingel. Unschlüssig stand er da. Seine durchgeweichten, kaputten Schuhe ließen die Kälte in alle Körperteile dringen. Es hatte keinen Sinn zu warten, er musste sich bemerkbar machen. Er klopfte an die dünne Holztür. Die Zaghaftigkeit der Gebärde war nicht dazu angetan, gehört zu werden. Er zog seine nassen Handschuhe aus und wiederholte das Prozedere. Diesmal lauter. Er lauschte. Es rührte sich nichts. Müde drehte er sich um und stapfte die Treppe runter. Zu gehen brachte auch nichts, er musste die Nachricht los werden. Er versuchte es noch einmal. Jetzt bollerte er mit der Faust gegen die Tür. Horchte nach drinnen. Er hörte ein Kind weinen. Schlurfende Schritte näherten sich. Endlich wurde geöffnet. Vor ihm stand eine junge Frau. Das heißt, von der Gestalt her, dem Gesicht nach zu urteilen, war sie alt, sehr alt. Ihre Erscheinung wirkte erbärmlich. Tief liegende Augen, eingefallene Wangen. Die Lippen waren blutleer, die Gesichtsfarbe grau. Sie trug ein dünnes Fähnchen und fror. „Was wollen Sie“, fragte sie mürrisch.
„Sind Sie Frau Becker“, fragte er. Sie nickte. „Ich muss mit Ihnen sprechen, es geht um Ihren Mann.“ Sie öffnete die Tür ganz und ließ ihn eintreten.
Im Haus war es kalt und es roch nach Kohlsuppe. In der Küche brannte ein Feuer im Herd. Der Ofen war alt und zog nicht richtig. Der Qualm war atemberaubend. Das Kind, höchstens sechs Jahre alt, saß in einer Ecke und spielte mit ausgefransten Tüchern und eingedrückten Pappkartons. Die Frau zeigte auf einen Stuhl. Es gab nur zwei.
Umständlich knöpfte der Mann seinen Mantel auf und setzte sich. Warum tat er das? Er hatte nicht vor, länger als nötig hier zu bleiben. Aber er musste seine Nachricht los werden.
Das Kind hatte aufgehört zu weinen und starrte den Fremden erschrocken an. Was die Frau zu wenig anhatte, hatte der Kleine zu viel am Körper. Er war völlig überhitzt und der Rotz lief ihm aus der Nase.
Die Frau saß ganz still auf ihrem Stuhl und wartete. Wie fing er bloß an?
„Mein Name ist Karl Weigelt“, begann er, „ich kenne Ihren Mann, Frau Becker.“ Sie schwieg. Ihr Rücken versteifte sich. Ihre Hände lagen im Schoß.
„Wir waren im selben Lager“, fuhr er fort. „Bis zur Befreiung, dann haben wir uns auf den Weg gemacht. Hierher, nach Hause. Leider haben wir uns unterwegs aus den Augen verloren.“ Er atmete tief durch und bekam einen Hustenanfall. Die Frau lächelte, und er sah, dass sie eigentlich hübsch war.
„Er hat mir Ihre Adresse gegeben, falls ich vor ihm hier sein sollte. Er wird bestimmt auch bald kommen.“ Was redete er da bloß für einen Quatsch, dachte er erschrocken. Jetzt wurde ihm trotz der nassen Füße richtig warm. Die Frau stellte ihm ein Glas Wasser hin. Er trank es in gierigen Schlucken.
„Kann ich Ihnen irgendwie helfen?“, fragte der Mann. Sie lächelte.
Er hatte sie betrogen. Er hatte sie um die Wahrheit betrogen. Nicht nur das, er hatte gelogen. Er stellte seinen Rucksack ab und kramte darin herum. Das Kind kam neugierig näher. Der Mann legte ein altes Stück Brot auf den Tisch. Die Frau lächelte. Ein Stück Käse, ein Stück Wurst kamen zutage. Die Bauersleute heute Morgen, auf seinem Weg hierher, waren großzügig. Der Junge kriegte große Augen und klatschte in die Hände.
„Wollen Sie das alles mit uns teilen“, fragte die Frau ungläubig. Er nickte und grinste. Sie stand auf und machte sich am Küchenschrank zu schaffen.
„Es muss noch irgendwo Tee geben, nur einmal aufgebrüht“, sagte sie erleichtert und setzte Wasser auf. Der Mann brachte das Feuer wieder in Gang. Der Ofen qualmte nicht mehr. Er trank nur Tee. Er sagte, er hätte keinen Hunger.
Morgen, oder übermorgen, oder in einer Woche, würde er wiederkommen. Dann würde er die Wahrheit sagen. Heute nicht, heute war Weihnachten. Heute kam es auf etwas anderes an, nicht auf die Wahrheit.


Ansprache zur Weihnachtsausstellung (Karin Bottke)

In jenem Jahr wurde zum 1. Advent im Helmstedter Museum die Weihnachts-Sonderausstellung „100 Jahre europäische Papierkrippen“ eröffnet. Wir hatten einiges dazugelernt, hatten faszinierende Darstellungen bewundert und eine wahre Begebenheit, aus unserer Braunschweiger Region erfahren, die ich gern mit meinen Worten wiedergeben möchte.
Es war vor vielen Jahren, wohl um die Jahrhundertwende (1900 natürlich!!!), als sich Folgendes in St. Katharinen in Braunschweig abgespielt haben soll:
In der Kirche stand, wie in den meisten Kirchen, eine Krippe mit all den bekannten und wichtigen Figuren. Da trug es sich zu, dass am 1. Advent der Josef fehlte. Die Gemeinde war traurig und rätselte und rätselte, was wohl geschehen war. Wer sich wohl an der Heiligen Familie vergriffen haben mochte.
Am 2. Advent fehlte dann Maria. Die Gemeinde war empört und es wurde beratschlagt, was zu tun sei. Der Pfarrer sollte sich auf die Lauer legen, denn soviel war gewiss, sollte der Täter wiederkommen, würde er bestimmt das Kindlein stehlen. Und tatsächlich, am 3. Advent geschah es: Die Kirchentür öffnete sich und im Halbdunkel huschte eine kleinwüchsige Gestalt zur Krippe. Der Pfarrer hielt den Atem an. Da langte die Gestalt in die Krippe hinein.
Aber … sie ergriff nicht das Jesuskind, sondern schob einen Zettel unter das Stroh. Und im Nu war der kleine Besucher wieder verschwunden.
Der Pfarrer kam erstaunt aus dem Versteck und zog das Papier hervor. Darauf stand - in ungelenker Kinderschrift zu lesen:
„Ich warne Dich! Wenn ich Weihnachten nicht endlich den Baukasten von Dir kriege, siehst Du Deine Eltern nie wieder!“


Der Spaziergang (Elisabeth Ritter)

Kürzlich - Moment mal, was heißt kürzlich? Es war im November und jetzt ist Dezember. Aber schließlich ist die Zeit unwichtig. Wir, meine Freundin Rita und ich, machten einen Spaziergang. Das Wetter war fast frühlingshaft. Die Sonne wärmte sogar. Wir schauten den Blättern nach. Sie segelten auf Umwegen zu Boden. Wir beschlossen, in der Zukunft nicht mehr zu sagen: Die Bäume werfen die Blätter ab, sondern die Blätter verlassen die Bäume. Wir blieben einen Augenblick stehen und schauten einem roten Blatt nach. Es segelte ganz besonders elegant. Im selben Augenblick sauste ein starker Windstoß an uns vorbei! Er war so heftig, dass mein Hut wegflog. Ich fragte: „Sag mal Rita, was war das denn?“ Sie lachte: „Das war sicher der Fortschritt.“ „Der fegt einfach so an uns vorbei? Wo will der denn hin?“ „Ich glaube, das weiß der selbst nicht genau.“ „Wenn der nicht aufpasst, klatscht er irgendwann an eine Mauer mit dem Schild Ende !!!!!!!“ Wir lachten, aber nur verhalten. Nachdem ich den Staub von meinem Hut geklopft hatte, setzten wir unseren Weg fort. Wir schritten sozusagen fort. Unser Ziel war unsere Lieblingsbank. Rita blieb plötzlich stehen und gab mir einen Rippenstoß. „Was ist denn mit unserer Bank passiert? Sie hat ja keine Sitzfläche mehr!“ Na so eine Pleite. Hoffentlich ist die nächste Bank noch zu benutzen, sonst geht uns bald die Puste aus. Wir haben ja erst die Hälfte unseres Weges hinter uns. Man muss wissen, wir sind nicht mehr die Jüngsten! Enttäuscht gingen wir weiter. Auf dem Weg kabbelten sich zwei Katzen. Rita sagte: „Ist das jetzt Katzenjammer, weil ihnen die Bank auch fehlt?“
Wir kamen an einem Vorgarten vorbei. Da blühte noch eine lachsfarbene einzelne Rose! Allein, aber stolz! Wir bewunderten ihren Mut und ihre Schönheit. Wollte sie uns sagen: Kopf hoch und weiter machen? Nachdenklich gingen wir weiter. Dann beschlossen wir, uns in ein Café zu setzen und unsere Rentenerhöhung von 3,75 Euro zu verprassen!


Kerzen im Schnee

Geräuschlos, leicht, hat sich in der Nacht das weiße Tafeltuch auf die Felder vor dem Elm gelegt. Du hast das Haus im warmen Steppmantel verlassen, die Kapuze hochgeschlagen. Deine Fellstiefel knirschen im Schnee, der brillant glitzernd im rötlichen Licht der aufgehenden Sonne unberührt vor dir liegt. Forsch legst du auf den Weg zum kleinen Wäldchen deine Spur.
Die Fährte eines Fuchses quert deinen Weg. Er ist kurz vor dir vorbeigeschnürt. Schnell näherst du dich dem Birkenhain. Kerzengleich stehen die weißen Stämme auf dem glitzernden Fließ. Feurig wie Flammen leuchten die Spitzen der Birken, die sich leicht im Wind bewegen.
Auf ihnen haben sich Krähen niedergelassen, um nach der kalten Nacht ihr Gefieder in dem ersten Sonnenlicht zu erwärmen.
Am Ufer des kleinen Baches, der sich aus dem Birkenhain schlängelt, suchen drei Rehe nach freiliegenden Gräsern. Sie äugen aufmerksam neugierig zu dir herüber, äsen weiter, ohne dich zu beachten.
Du hast die Kapuze zurückgeschlagen. Deine rote Lockenpracht erstrahlt noch feuriger im lichten Schein der Sonne, die hinter dir langsam dem Horizont entsteigt.
Federnd beschleunigst du die Schritte, der Schnee stiebt. Wie eine Fee schwebst du leicht über das weiche, weiße Feld. Schnell erreichst du auf dem schmalen Pfad deine Lichtung.
Laut krächzend haben die Krähen ihre Sonnenterrasse verlassen und kreisen als wilde Schar über dir, ziehen sich zurück in die Tannen.
Ein lichter Kreis heller Kerzen umgibt dich und je höher der rote Ball den Himmel erklimmt, je mehr brennen die Birken in feurigem Rot.
Du genießt diese Ruhe, die dich umschließt, die Stille in dir.
Du lässt dich rücklings in das weiche Bett fallen, machst den Adler. Wie ein kleiner Teppich breitet sich deine Lockenpracht aus.
Über dir strahlt dich der blaue Himmel an. Glitzernde Perlen in den Zweigen wetteifern mit dem Glanz deiner Augen. Du lässt die Lider über die Augen gleiten, genießt für eine kurze Zeit dieses Glück.
Vorsichtig erhebst du dich, betrachtest dein Werk. Langsam verlöschen die Kerzen, alles erstrahlt in glitzerndem Weiß. Es fällt dir schwer, aber du musst dich losreißen, musst wieder in dein Dorf.
Der gleiche Weg führt dich zurück. Die Sonne blendet dich, du aber genießt die warmen Strahlen in deinem Gesicht. Je näher du den Häusern kommst, desto langsamer werden deine Schritte.
Noch bist du allein, bist in dir.

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