Herbert Fritsche
Das Wagnis, Mensch zu sein
Taschenbuch Oktober 2011
186 Seiten | ca. 14,8 x 21,0 cm
ISBN: 978-3-943048-57-5
Das Wagnis, Mensch zu sein
Taschenbuch Oktober 2011
186 Seiten | ca. 14,8 x 21,0 cm
ISBN: 978-3-943048-57-5
Mit dieser hier vorliegenden Zusammenstellung einer kleinen Auswahl seiner Arbeiten, die zum Teil nach langer Zeit wieder oder zum ersten Mal überhaupt veröffentlicht werden, soll der Zugang zu dem Werk Herbert Fritsches geebnet werden; einem Werk, von dem viele seiner Freunde sagen, dass es sich erst späteren Generationen voll erschließen werde. Mit wachen Sinnen gehen wir auf Spurensuche, treten Aus dem Dunkel zum Licht, um letztlich Von letzten Dingen zu hören – um nur einige Kapitelüberschriften zu nennen – die uns Herbert Fritsche mit auf den Weg gibt.
Auszug aus: Der Mensch und die Überwelt
Wer gerettete Selbstmörder nach dem innersten Motiv ihres Entschlusses befragt, erhält fast immer die Antwort: Ein Weiterleben hätte für mich keinen Sinn mehr gehabt. Wo der einzelne freilich den jeweils konkreten Sinn seines Lebens suchen zu müssen glaubt, das ist eine Frage seines Persönlichkeitsniveaus. Nichtsdestoweniger bleibt die erstaunliche Tatsache bestehen, dass ein durchaus metaphysischer Wert – die Sinnfindung nämlich – für den Menschen von entscheidender vitaler Bedeutsamkeit ist. Sieht er sich außerstande, auf positive Weise eine solche Sinnfindung und Sinnverwirklichung in seinem Leben zuwege zu bringen, so stürzt er in die (vermeintliche) Selbstvernichtung hinein. Was wir für den stärksten Trieb halten: den Selbsterhaltungstrieb – einem stärkeren ist dieser Elementartrieb unterworfen: dem Verlangen nach Sinngebung. Ob der Selbstmörder sich dessen bewusst ist oder nicht, im tiefsten Grunde treibt ihn ein metaphysisches Unbefriedigtsein zu seiner Tat.
Wer das Menschenwesen wirklichkeitsgemäß zu erfassen vermag, kann darüber gar nicht erstaunt sein. Mit dem Physischen seines Leibes hat der Mensch Anteil an der Wirklichkeits-Ebene des Mineralischen. Damit, dass die Welt des Stofflichen in ihm von einem Organismus vitaler Kräfte ergriffen und zum Dienst an der Erhaltung einer lebendigen Gestalt genötigt ist, hat der Mensch außerdem Anteil an jener Wirklichkeits-Ebene, die durch die Pflanze repräsentiert wird. Das Mineralische ist gleichsam nur Leib, das Sein der Pflanze aber Leib und Leben: ihr Stoffwechsel zugunsten der Gestaltbewahrung ist dafür charakteristisch. Aber der Mensch hat nicht nur Leib und Leben, er nennt auch einen Organismus der Seele sein eigen. Wie er das Physische mit dem Mineralreich gemeinsam hat und den Bios mit der Pflanze, so hat er die Psyche mit dem Tier gemein: das Tier ist Leib, Leben und Seele. Seele ohne ein fortwährendes Einwirken des Geistes kann am reinsten in der Tierwelt studiert werden. Alle drei Wirklichkeitsebenen – die des Physischen, die des Bios und die der Psyche – überragt der Mensch jedoch mit seinem obersten Wesensglied, mit jenem geheimen Wesensmittelpunkt, der zu sich selber „Ich bin“ sagt und der ein Organ zum Ergreifen des Geistes darstellt. Das Mineralische ist sich selbst genug, der Bios holt sich seine Nahrung aus der Welt der Elemente, die Psyche lebt von Empfindungen und begehrt starke emotionale Schwingungen, das menschenwürdige Ich hingegen muss zu aktiv erarbeiteter Sinnge-bung des Lebens vordringen, wenn es mit sich selber kongruent sein will: metaphysische Wirklichkeit ist seine Speise.
Lebt der Mensch nur für seine Ansprüche, die ihm Leib, Leben und Seele stellen, so bleibt sein wesentliches Merkmal, sein oberstes We-sensglied, der Unterernährung preisgegeben. Es entsteht metaphysi-sche Impotenz. Das ist aber der Boden, auf dem sich – besonders von der kritischen Epoche der Lebensmitte an – Katastrophen vorbereiten: Zusammenbrüche, unwürdige Fluchten in Resignation, Zynismus und Nihilismus, Neurosen und am Ende gar Selbstmord-Unternehmungen.
„Ohne die jenseitige Welt ist die diesseitige ein trostloses Rätsel“, sagt August Strindberg. Ohne ein Eindringen in die Überwelt, ins „Reich der Ursachen“, kann Sinnfindung und Sinnverwirklichung nie auf eine befriedigende Weise erlangt werden. Der Sinn des Lebens wird aus dem Geistgebiet ins Diesseits-Dasein projiziert mit Hilfe jenes innersten und höchsten Organs im Menschen, das selber seinen Urstand im Geiste hat. Dieses Organ ist nicht leicht außer Kraft zu setzen: wo es nicht auf echte und gesunde Weise betätigt wird, setzt es sich auf verzerrte, abirrende Weise durch. Da es berufen ist, den Kosmos als Sinngefüge zu erkennen und das eigene Leben als unaufhörliche Zwiesprache mit höheren Mächten zu erleben, ist dieses Organ von Natur aus auf „Beziehungssicht“ angelegt. Wo es hinblickt, will es Signaturen finden, sinn-offenbarende Hinweise auf die intime Bedeutsamkeit all dessen, was ihm begegnet. Alles Vergängliche wird ihm zum Gleichnis – es ist dem Orpheus verwandt: begrabene Gottheit wird von ihm auferweckt aus dem Staub und den Steinen.
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