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Hannes Lange
Bockwurst, Eis und Jauchenauto
Lausbuben- und andere Geschichten

Taschenbuch Februar 2011
360 Seiten | ca. 12,0 x 19,0 cm
ISBN: 978-3-942693-64-6


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Hannes Lange, Jahrgang 1954, berichtet aus seiner Kinder- und Jugendzeit in Meißen.
Er war ein Lausbub, zweifellos. Mit seinem knapp drei Jahre älteren Bruder Horst verlebte er die Kindheit in einer Freiheit, die es heute kaum noch gibt. Dass dabei allerlei Dummheiten ausgeheckt und ausgeführt wurden, versteht sich wohl von selbst.
Und sollte der Autor bei seinen verehrten Lesern den Ausruf provozieren:
„Das? Das ist doch noch gar nichts!“, dann los, setzt euch selbst an den Schreibtisch und bringt eure Lausbubengeschichten zu Papier. Wenn er darüber lachen kann, würde er sich sehr freuen…
Der Plan war, Roland sollte bei meinem Fahrrad auf dem Gepäckträger sitzen und in die Pedale treten, ich aber – weil älter – saß auf dem Sattel, hatte die Arme über der Brust verschränkt (sollte cool aussehen) und meine Füße standen auf dem Lenker und gaben dem Fahrrad die Richtung vor. Für diese Nummer mussten wir mein Rad nehmen, Roland hatte bei seinem Gefährt den Gepäckträger, der sportlichen Optik wegen, abmontiert. Leider! Meiner musste draufbleiben, denn bei unseren Ausflügen mit Ulbrichts wurde er ja dringend gebraucht. Außerdem war mein Rad stabiler, hatte Rahmen und vor allen Dingen Felgen aus Stahl, dass sollte sich noch als Vorteil erweisen. Das Rad meines Freundes hingegen besaß schon Alufelgen, damit war er der ungekrönte „Rad-King“ der gesamten Nachbarschaft. Abgesehen davon, dass er sehr sportlich und entsprechend ehrgeizig war, hatte er das leichteste Rad, war folglich, vor allen Dingen bei Bergauffahrten immer der Erste und jedes Mal gab es langwierige Verhandlungen darüber, wieviel Meter „Vorsprung“ er uns einräumen müsse, um bei einem Rennen seinen unbestrittenen Materialvorteil wenigstens etwas auszugleichen.
Das aber nur nebenbei.
Also, mein Rad erwies sich als Artistengerät weitaus praktischer, was mich mit Stolz erfüllte. Die ersten Runden in unserem Hof fielen nach einigen Übungen recht passabel aus, aber der Hof war eng und man konnte nur langsam fahren. Außerdem hatten nur eine begrenzte Menge Zuschauer Platz, die meisten Kinder wussten außerdem nichts von unserer Darbietung.
„Woll´n wir nicht mal auf der Straße ...?“
Selbstverständlich, wir wollten – Ehrensache.
„Wir fahr´n nunter zu Kriegels“, verkündete ich lautstark und voreilig.
„Das traut ihr euch nicht“, sagte ein Mädchen. Das hätte sie nicht tun dürfen, das war schlimmer wie eine „Fünf“ in der Schule.
Und ob, nun gerade!
Also raus auf die Straße. Das Rauhental ist lang und hat eine ziemlich starke Steigung, in unserem Fall muß man wohl Gefälle sagen. Bergauf war das Ende der Straße bei diversen Friedensfahrtetappen sogar Ziel mancher Bergwertung. Die Kinder stürmten den Berg hinunter, unterwegs noch viele andere laut schreiend mit sich reißend. Diese Attraktion wollte niemand verpassen. Roland und ich trafen indessen die letzten Vorbereitungen für unseren Auftritt, der unser Image aufbessern sollte. Zuerst legten wir die Hemden ab, denn die Zirkusartisten arbeiteten ja auch mit freien Oberkörper (leider nur die Männer). Strümpfe in den Sandalen waren ebenso störend.
So, die Hosenträger der „Ledernen“ wieder über die Schulter, dann konnte es losgehen. Ich kann euch versichern, es ging los, und wie. Nach wenigen Metern hatten wir ein Mordstempo drauf, das machte richtig Laune. Aber nicht lang.
Der wildgewordene Drahtesel wurde immer schneller, vergeblich versuchte Roland, der hinten auf dem Gepäckträger saß, den Rücktritt zu betätigen. Durch seine Sitzposition war das Hebelverhältnis für die Kraft seiner Beine zu ungünstig. Das Rad schoss seinem Ziel entgegen, unaufhaltsam und in rasender Geschwindigkeit.
Die Hangabtriebskraft ist ja entscheidend von der Masse abhängig, und die betrug in diesem Fall zwei Jungen statt einem. Längst hatte ich meine lässige Armhaltung aufgegeben, gebrauchte die Arme nun mehr als Balancierstange wie ein Hochseilartist, die Füße vom Lenker zu nehmen traute ich mich ob des hohen Tempos nicht. So schossen wir unserem Ziel entgegen, zur Untätigkeit verdammt, die Augen weit aufgerissen sahen wir das unausweichliche Ende kommen.
Der Dichter sagt:
„Aber wehe, wehe, wehe, wenn ich auf das Ende sehe!“
Vor dem Kriegel´schen Lebensmittelgeschäft befand sich auf der Straße ein Gullydeckel aus solidem Eisen. Im Laufe der Jahre hatte sich die gepflasterte Straße gewölbt und der zunehmenden Belastung wegen verworfen, also war der Deckel nicht mehr eins mit der Fahrbahn, sondern etwa fünf Zentimeter höher.
Dies wurde uns zum Verhängnis, oder, wenn man es recht betrachtet, zu unserem Rettungsanker. Vielleicht hatte auch unser Schutzengel, der ohne Zweifel bei dem Höllenritt anwesend war, ihn in letzter Sekunde sogar noch etwas angehoben. Kurz und gut, da der wildgewordene Drahtesel nicht mehr zu steuern war, entschied sich das Vorderrad, mal eben über die Stahlkante zu donnern.
Das wiederum fand der Reifen gar nicht lustig, mit einem lauten Wutschnauber ließ er seinem Ärger freien Lauf, er platzte und verabschiedete sich. Dies war nun für uns das Zeichen, abzusteigen und die artistische Vorführung mit einem Abgang zu krönen, der nicht von schlechten Eltern war. Wir flogen, aber nicht wie auf Engelsflügeln, sondern den Gesetzen der Physik folgend, mehrere Meter durch die Luft, dann knallten wir auf die Straße.
Es war eine regelrechte Bruchlandung, mit Pauken und Trompeten. Die Zuschauer standen schreckerstarrt, wir lagen benommen auf dem nicht gerade als weich zu bezeichnenden Pflaster und sahen wenig geistreich aus der Wäsche. Ganz allmählich kehrte die Erinnerung in unser Bewusstsein zurück.
Ich stand auf, Roland ebenso. Bewegen konnten wir unsere Knochen noch, aber wie sah der Rest des geschundenen Körpers aus?
Nicht besonders vorteilhaft, ein Glück nur, unsere Lederhosen waren heil geblieben, die Hemden hatten wir ausgezogen, wenigstens textilmäßig hatte es keine Opfer gegeben. Ansonsten aber glichen wir zwei Pferdedieben im wilden Westen, die auf dem Weg zum Galgen hinter einem Gaul durch die Stadt geschliffen worden waren.
Der Bast war ab, ratzekahl. Knie und Ellenbogen waren aufgeschlagen und bluteten. Das würde große Grinde geben und ordentliche blaue Flecken. Na ja, irgendwie würden wir es unseren Müttern schon erklären, dass wir mit dem Rad „gefallen“ waren. So etwas kommt eben vor, oder?
Aber wie sah mein armes Fahrrad aus?

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