Karin Bottke
Venedig - die kränkelnde Königin verblichener Handelsmacht
Taschenbuch April 2015
58 Seiten | ca. 14,8 x 21,0 cm
ISBN: 978-3-86468-926-0
Venedig - die kränkelnde Königin verblichener Handelsmacht
Taschenbuch April 2015
58 Seiten | ca. 14,8 x 21,0 cm
ISBN: 978-3-86468-926-0
Gründe gibt es viele, um Venedig zu besuchen. Einer davon ist die Musik, ist Giuseppe Verdi, ist seine berühmte Oper La Traviata. Zumindest findet das Gerlinde und erfüllt sich mit der Reise einen Traum. Begleiten Sie sie in die Stadt der Liebenden.
Seite 15-17: Im Hotel San Moise, unweit des Opernhauses, einchecken. Zimmerschlüssel, Anweisungen: Wir treffen uns um … die Uhrzeit. Ihr Zimmer, die Etage, rechts, links – ach das kann sie sich nicht alles merken.
Endlich steht sie in dem Raum, der für drei Nächte ihr Zuhause sein wird. Ihr Herz klopft zum Zerspringen und sie fragt sich, ob sie sich nicht zu viel zugemutet hat. Aber dem Angebot, ihren geliebten Verdi in der Geburtsstätte der italienischen Oper zu erleben, konnte sie nicht widerstehen. 1853 hatte ‚La Traviata’ in dieser Stadt Weltpremiere und morgen Abend würde sie im Gran Teatro la Fenice ihre ganz persönliche Premiere feiern.
Sie geht ins Bad, packt ein paar Sachen aus. Auf dem Tisch liegt ein Brief mit der deutschen Überschrift: HERZLICH WILLKOMMEN! Da hat sie den Zeitplan, kann den Anschluss gar nicht verpassen – alles ist organisiert.
Als sie den Speiseraum betritt, ihre Augen schweifen über die Tische, ist ihr Platz neben André eingedeckt. Wenigstens nicht gegenüber. Ständig der berechtigte Spott über die kleine Landpomeranze in seinem Gesicht, das hält kein Pferd aus.
Gerlinde gibt sich Mühe, nicht aufzufallen. Für heute hat sie sich genug blamiert. Wein? Sie lehnt ab. Sie ist ohne Alkohol durcheinander genug.
Sie betrachtet den Salatteller. Die Krönung, ein eirundes Ding mit Beinen. Sie schaut verstohlen, was die anderen damit machen. Die Herrschaften gegenüber schieben es an den Rand. Gerlinde schielt zum Nachbarn. Das Grinsen entgeht ihr nicht.
„Was ist da dran lustig? Ich weiß wirklich nicht, ob ich das essen mag“, sagt sie zweifelnd. Sie lachen und André geht seinem Tierchen mit Messer und Gabel zu Leibe. Er kaut, kraust die Nase und befiehlt: „Probieren!“
Sie schneidet dieses knubbelige Etwas durch. Eine klitzekleine Ecke schiebt sie in den Mund, schluckt mit Todesverachtung.
„Weiter!“, befiehlt seine übermütige Stimme.
Nein, um nichts in der Welt! „Ich schenke es Ihnen!“
„Wir sagen uns Du“, trompetet der Herr gegenüber. „Wir sitzen doch in einem Boot! Ich bin Franz!“
Franz ist mit seiner Klara gereist. Sie sind ein Familienunternehmen, haben zu Hause eine Fleischerei. Sie hat, natürlich – rein zufällig – Bilder in der Tasche. „Das ist unser Laden. Das sind unsere Jungs. Sie werden mal ins Geschäft einsteigen. Und das hier ist …“
Gerlinde findet alles der Einfachheit halber hübsch, nettes Haus, nette Kinder – und ist froh, dass die beiden wie aufgezogen reden. Sie überlässt die Konversation diesem André.
Er ist Autor von Reiseliteratur, von Sachbüchern. Komisch, denkt sie, alle Welt schreibt. Da wird sie sich keinesfalls outen.
Sie schaltet ab, entspannt sich endlich. Der Urlaub, die damit verbundene Freude und der ungewohnte Wein – denn die anderen haben nicht eher Ruhe gegeben, bis Gerlinde sich wenigstens das Wasser versäuern ließ – all das trägt dazu bei, dass ihr Unternehmungsgeist döst.
Es geht auf Mitternacht, als sie sich endlich unter ihre Decke kuschelt. Sie lauscht den Geräuschen, die durch das weit offene Fenster fremd und lockend in ihr Zimmer schallen.
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